Sonntag, 7. April 2024

Fragen > Zweifeln

Es ist ein Unterschied zwischen der Haltung des Fragens und der des Zweifels. Der Zweifel enthält eine Anmaßung: über den in Frage stehenden Gegenstand hinaus greift er etwas Grundsätzlicheres an. Dabei könnten wir uns darauf beschränken, nach dem Wie einer Sache zu fragen, ohne deswegen gleich das umfassendere Daß ins Visier zu nehmen. Der Zweifler bleibt gewissermaßen nicht in den Grenzen und dem Sachgebiet seiner Frage, sondern überschreitet den Gegenstand der Frage und maßt sich an, das Stehen und Fallen des ganzen übergreifenden Zusammenhangs von der einen konkreten Frage abhängig zu machen.

Der hl. Apostel Thomas zweifelte an der Auferstehung. Er fragte nicht nur nach dem Wie, weil ihm die Berichte nach seiner sinnlichen Erfahrung sehr unwahrscheinlich vorkamen (womit er ja recht hat), sondern wir müssen befürchten, daß mit dieser Infragestellung der Auferstehung auch sein ganzer Glaube in Gefahr war. Obwohl zunächst nur die leibliche Auferstehung als solche ihm fragwürdig erschien, ging die Stoßrichtung seines Zweifels gegen den Glauben an den Sohn Gottes selbst. Sagt nicht der hl. Apostel Paulus (1. Kor. 15,13-14):

Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, dann ist unsere Predigt leer und euer Glaube sinnlos.
Andererseits ist unser Erkenntnisvermögen uns ja gegeben, um die Frage nach der Wahrheit zu stellen. Etwas zu fragen, auch etwas in Frage zu stellen, ist gut und richtig und unserer Natur gemäß. Wir sind ja als Menschen so gebaut, daß wir durch das Hin- und Herbewegen einer Frage zu einer guten Antwort gelangen können - und sollen. Es wäre eine schwere Last, wenn wir uns das Fragen verbieten würden und alle Dinge nur auf blinden Glauben hin annähmen, ohne daß ihre Wahrheit in unserem eigenen Verstand zum Schwingen kommt.

Wie aber wäre eine gute Haltung des Fragens zu pflegen?

Hierin kann uns - wie in vielem - die Gottesmutter Vorbild sein. Auch sie hatte eine Frage. Sie fragte den Engel, der ihr die Empfängnis des Gottmenschen in ihrem Leibe ankündigte (Luk. 1,34):

Wie soll das geschehen, da ich doch von keinem Manne weiß?
Das ist gut gefragt! Denn es enthält die Haltung des Sich-Hineinfügens. Sie fragt nur nach dem Wie, sozusagen nach den Ausführungsdetails des göttlichen Willens, da sie dieses Wie nicht versteht. Den Plan Gottes selbst stellt sie dabei nicht in Frage. Daher wird sie einer ausführlichen Antwort gewürdigt (Luk. 1,35-37):
Der heilige Geist wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, welches aus dir geboren werden soll, Sohn Gottes genannt werden.

Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat einen Sohn empfangen in ihrem Alter, und dies ist der sechste Monat für sie, die unfruchtbar heißt, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Sie bekommt also nicht nur eine direkte Antwort auf ihre Frage - wenn sie auch natürlich für den Menschensinn schwer faßbar ist - sondern darüberhinaus noch einen Hinweis auf das Wunder der Geburt des Johannes. Schließlich appelliert der Engel an ihre Demut, indem er darauf hinweist, daß für Gottes Allmacht und Größe sowieso kein Ding unmöglich ist.

Maria antwortet mit ihrem großen hochzeitlichen Ja, durch das sie sich in Demut in Gottes Plan fügt (Luk. 1,38):

Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte.
Wenige Verse vorher lesen wir im selben Kapitel von einer anderen Frage mit einem anderen Duktus. Als ein Engel dem Priester Zacharias beim Tempeldienst ankündigt, daß seine hochbetagte Frau Elisabeth ihm einen Sohn gebären werde, fragt er zurück (Luk. 1,18):
Woran soll ich das erkennen? denn ich bin alt, und mein Weib ist vorgerückt an Tagen.
Hier ist keine Frage nach dem Wie, sondern es ist ein grundsätzlicherer Zweifel herauszuhören. Zacharias möchte offenbar ein Zeichen haben, um zu erkennen, daß der Engel die Wahrheit spricht. Als Folge seines Zweifels muß er bis zur Geburt seines Sohnes Johannes des Täufers verstummen.

Es ist bestimmt kein Zufall, daß diese beiden Reaktionen hier im selben Kapitel des Lukasevangeliums aufgeführt sind. Zacharias wie Maria wurde etwas offenbart, das zu verstehen in seiner ganzen Tiefe sie überforderte. Aber sie reagieren verschieden darauf. Zacharias verschließt sich, kann es nicht glauben und verlangt einen Beweis. Auch für Maria ist die Botschaft schwer zu verstehen, auch ihr tut sich eine Frage auf, aber sie bittet nur um Klarheit über das "Wie".

Wie gehen wir mit Glaubensinhalten um, die zwar in nichts gegen unsere Vernunft sind, aber unser Verstehen übersteigen? Maria lebte es uns vor: in der Geburtsgeschichte heißt es (Lk 2,19):

Maria aber bewahrte alle diese Worte, und bewegte sie in ihrem Herzen.
Die Fragen immer wieder zu bewegen, sie offenhalten im Geiste, es auszuhalten, daß man sie noch nicht beantworten kann - wenn wir das tun, haben wir die Haltung Mariens. In dieser Welt gibt es stets mehr Fragen als Antworten, gar zu vieles muß ungeklärt bleiben. Schließlich haben wir nur eine endliche Lebenszeit - nicht genug, um all die Fragen, die sich uns aufwerfen, mit der gebotenen Gründlichkeit zu studieren: "Und eh’ man nur den halben Weg erreicht, muß wohl ein armer Teufel sterben," seufzt Wagner in Goethes Faust.

Darüberhinaus ist unser Erkenntnisvermögen nur an der Sinnenwelt ausgebildet. Es kann zwar die allergrößten Gegenstände erfassen, ja sogar die Frage der Existenz Gottes läßt sich mit Klarheit beantworten (vgl. Röm. 1,19-21) - aber dieses Erfassen bleibt doch dürr und skeletthaft, unlebendig, abgeschattet durch unseren irdischen Sinn. Auch kann unser Erkenntnisvermögen sehr leicht in die Irre gehen. Wenn sich diese Fehlbarkeit schon in der Naturerkenntnis zeigt, um wieviel mehr müssen wir mit Fehlern rechnen, wenn wir uns den göttlichen Dingen zuwenden? Gott denkt und plant anders als wir denken (Jes. 55,8):

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, noch meine Wege eure Wege.
Wenn unsere eigenen Verstandeskräfte also kaum in diese Regionen hineinreichen, brauchen wir Gelehrigkeit (docilitas) gegenüber Gott - und auch gegenüber der Mutter Kirche. Gott gibt uns durch Seine Offenbarung Aufschluß, wenn wir diese gelehrig erforschen - Er stillt den Hunger nach Geist, erhört Gebete, öffnet dem, der anklopft. Auch Kirchenväter und große Gelehrte haben bereits intensiv über Fragen nachgedacht, die uns selbst ganz neu erschienen - Wissensschätze aus Jahrtausenden liegen bereit, die uns helfen können.

Die sogenannten evangelischen Räte erweisen sich als die besten Waffen, um dem Zweifel seine Spitze zu nehmen und ihn in die "gelehrige Frage" zu verwandeln (und dem Sinne nach kann sie jeder annehmen, egal in welcher Lebenssituation): In Demut anzuerkennen, daß es Höheres, Reiferes, Verständigeres gibt als uns selbst, gibt uns die Bereitschaft, Dinge anzunehmen, die nicht in unsere vorgefaßten Meinungen passen. Die Keuschheit lehrt uns die Enthaltung von Dingen, die uns nicht weiterführen - so setzen wir die Prioritäten richtig und laden unseren Geist nicht mit unwichtigen irdischen Dingen voll, die uns nur die Aussicht versperren. Und auch der Gehorsam hängt - wie die Demut - mit der Anerkennung von Autorität zusammen. Nicht blinder Gehorsam wie gegenüber einem Tyrannen, sondern ein verstehender, gelehriger Gehorsam ist das Ideal.

Es gibt viele Fragen, die wir (noch) nicht beantworten können und die zu einem unproduktiven Zweifel verführen können - etwa: Wie wirkt die göttliche Vorsehung? Wie wirken die Hierarchien im individuellen Schicksal, wie im Völkerschicksal, wie im Menschheitsschicksal, wie in der Naturordnung? Wie ist der Mensch zu dem geworden, was er heute ist?

Aber über all diese Fragen, die wir bewegen, aber noch offenlassen müssen, mögen wir nicht den Ausblick des hl. Paulus vergessen (1 Kor. 13,12):

Jetzt sehen wir durch einen Spiegel im Rätsel, alsdann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich erkennen, so wie auch ich erkannt bin.


Hendrick ter Brugghen: Der ungläubige Thomas

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