Sonntag, 7. April 2024

Fragen > Zweifeln

Es ist ein Unterschied zwischen der Haltung des Fragens und der des Zweifels. Der Zweifel enthält eine Anmaßung: über den in Frage stehenden Gegenstand hinaus greift er etwas Grundsätzlicheres an. Dabei könnten wir uns darauf beschränken, nach dem Wie einer Sache zu fragen, ohne deswegen gleich das umfassendere Daß ins Visier zu nehmen. Der Zweifler bleibt gewissermaßen nicht in den Grenzen und dem Sachgebiet seiner Frage, sondern überschreitet den Gegenstand der Frage und maßt sich an, das Stehen und Fallen des ganzen übergreifenden Zusammenhangs von der einen konkreten Frage abhängig zu machen.

Der hl. Apostel Thomas zweifelte an der Auferstehung. Er fragte nicht nur nach dem Wie, weil ihm die Berichte nach seiner sinnlichen Erfahrung sehr unwahrscheinlich vorkamen (womit er ja recht hat), sondern wir müssen befürchten, daß mit dieser Infragestellung der Auferstehung auch sein ganzer Glaube in Gefahr war. Obwohl zunächst nur die leibliche Auferstehung als solche ihm fragwürdig erschien, ging die Stoßrichtung seines Zweifels gegen den Glauben an den Sohn Gottes selbst. Sagt nicht der hl. Apostel Paulus (1. Kor. 15,13-14):

Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferstanden. Ist aber Christus nicht auferstanden, dann ist unsere Predigt leer und euer Glaube sinnlos.
Andererseits ist unser Erkenntnisvermögen uns ja gegeben, um die Frage nach der Wahrheit zu stellen. Etwas zu fragen, auch etwas in Frage zu stellen, ist gut und richtig und unserer Natur gemäß. Wir sind ja als Menschen so gebaut, daß wir durch das Hin- und Herbewegen einer Frage zu einer guten Antwort gelangen können - und sollen. Es wäre eine schwere Last, wenn wir uns das Fragen verbieten würden und alle Dinge nur auf blinden Glauben hin annähmen, ohne daß ihre Wahrheit in unserem eigenen Verstand zum Schwingen kommt.

Wie aber wäre eine gute Haltung des Fragens zu pflegen?

Hierin kann uns - wie in vielem - die Gottesmutter Vorbild sein. Auch sie hatte eine Frage. Sie fragte den Engel, der ihr die Empfängnis des Gottmenschen in ihrem Leibe ankündigte (Luk. 1,34):

Wie soll das geschehen, da ich doch von keinem Manne weiß?
Das ist gut gefragt! Denn es enthält die Haltung des Sich-Hineinfügens. Sie fragt nur nach dem Wie, sozusagen nach den Ausführungsdetails des göttlichen Willens, da sie dieses Wie nicht versteht. Den Plan Gottes selbst stellt sie dabei nicht in Frage. Daher wird sie einer ausführlichen Antwort gewürdigt (Luk. 1,35-37):
Der heilige Geist wird auf dich herabkommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten; darum wird auch das Heilige, welches aus dir geboren werden soll, Sohn Gottes genannt werden.

Und siehe, Elisabeth, deine Verwandte, auch sie hat einen Sohn empfangen in ihrem Alter, und dies ist der sechste Monat für sie, die unfruchtbar heißt, denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.

Sie bekommt also nicht nur eine direkte Antwort auf ihre Frage - wenn sie auch natürlich für den Menschensinn schwer faßbar ist - sondern darüberhinaus noch einen Hinweis auf das Wunder der Geburt des Johannes. Schließlich appelliert der Engel an ihre Demut, indem er darauf hinweist, daß für Gottes Allmacht und Größe sowieso kein Ding unmöglich ist.

Maria antwortet mit ihrem großen hochzeitlichen Ja, durch das sie sich in Demut in Gottes Plan fügt (Luk. 1,38):

Siehe, ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Worte.
Wenige Verse vorher lesen wir im selben Kapitel von einer anderen Frage mit einem anderen Duktus. Als ein Engel dem Priester Zacharias beim Tempeldienst ankündigt, daß seine hochbetagte Frau Elisabeth ihm einen Sohn gebären werde, fragt er zurück (Luk. 1,18):
Woran soll ich das erkennen? denn ich bin alt, und mein Weib ist vorgerückt an Tagen.
Hier ist keine Frage nach dem Wie, sondern es ist ein grundsätzlicherer Zweifel herauszuhören. Zacharias möchte offenbar ein Zeichen haben, um zu erkennen, daß der Engel die Wahrheit spricht. Als Folge seines Zweifels muß er bis zur Geburt seines Sohnes Johannes des Täufers verstummen.

Es ist bestimmt kein Zufall, daß diese beiden Reaktionen hier im selben Kapitel des Lukasevangeliums aufgeführt sind. Zacharias wie Maria wurde etwas offenbart, das zu verstehen in seiner ganzen Tiefe sie überforderte. Aber sie reagieren verschieden darauf. Zacharias verschließt sich, kann es nicht glauben und verlangt einen Beweis. Auch für Maria ist die Botschaft schwer zu verstehen, auch ihr tut sich eine Frage auf, aber sie bittet nur um Klarheit über das "Wie".

Wie gehen wir mit Glaubensinhalten um, die zwar in nichts gegen unsere Vernunft sind, aber unser Verstehen übersteigen? Maria lebte es uns vor: in der Geburtsgeschichte heißt es (Lk 2,19):

Maria aber bewahrte alle diese Worte, und bewegte sie in ihrem Herzen.
Die Fragen immer wieder zu bewegen, sie offenhalten im Geiste, es auszuhalten, daß man sie noch nicht beantworten kann - wenn wir das tun, haben wir die Haltung Mariens. In dieser Welt gibt es stets mehr Fragen als Antworten, gar zu vieles muß ungeklärt bleiben. Schließlich haben wir nur eine endliche Lebenszeit - nicht genug, um all die Fragen, die sich uns aufwerfen, mit der gebotenen Gründlichkeit zu studieren: "Und eh’ man nur den halben Weg erreicht, muß wohl ein armer Teufel sterben," seufzt Wagner in Goethes Faust.

Darüberhinaus ist unser Erkenntnisvermögen nur an der Sinnenwelt ausgebildet. Es kann zwar die allergrößten Gegenstände erfassen, ja sogar die Frage der Existenz Gottes läßt sich mit Klarheit beantworten (vgl. Röm. 1,19-21) - aber dieses Erfassen bleibt doch dürr und skeletthaft, unlebendig, abgeschattet durch unseren irdischen Sinn. Auch kann unser Erkenntnisvermögen sehr leicht in die Irre gehen. Wenn sich diese Fehlbarkeit schon in der Naturerkenntnis zeigt, um wieviel mehr müssen wir mit Fehlern rechnen, wenn wir uns den göttlichen Dingen zuwenden? Gott denkt und plant anders als wir denken (Jes. 55,8):

Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, noch meine Wege eure Wege.
Wenn unsere eigenen Verstandeskräfte also kaum in diese Regionen hineinreichen, brauchen wir Gelehrigkeit (docilitas) gegenüber Gott - und auch gegenüber der Mutter Kirche. Gott gibt uns durch Seine Offenbarung Aufschluß, wenn wir diese gelehrig erforschen - Er stillt den Hunger nach Geist, erhört Gebete, öffnet dem, der anklopft. Auch Kirchenväter und große Gelehrte haben bereits intensiv über Fragen nachgedacht, die uns selbst ganz neu erschienen - Wissensschätze aus Jahrtausenden liegen bereit, die uns helfen können.

Die sogenannten evangelischen Räte erweisen sich als die besten Waffen, um dem Zweifel seine Spitze zu nehmen und ihn in die "gelehrige Frage" zu verwandeln (und dem Sinne nach kann sie jeder annehmen, egal in welcher Lebenssituation): In Demut anzuerkennen, daß es Höheres, Reiferes, Verständigeres gibt als uns selbst, gibt uns die Bereitschaft, Dinge anzunehmen, die nicht in unsere vorgefaßten Meinungen passen. Die Keuschheit lehrt uns die Enthaltung von Dingen, die uns nicht weiterführen - so setzen wir die Prioritäten richtig und laden unseren Geist nicht mit unwichtigen irdischen Dingen voll, die uns nur die Aussicht versperren. Und auch der Gehorsam hängt - wie die Demut - mit der Anerkennung von Autorität zusammen. Nicht blinder Gehorsam wie gegenüber einem Tyrannen, sondern ein verstehender, gelehriger Gehorsam ist das Ideal.

Es gibt viele Fragen, die wir (noch) nicht beantworten können und die zu einem unproduktiven Zweifel verführen können - etwa: Wie wirkt die göttliche Vorsehung? Wie wirken die Hierarchien im individuellen Schicksal, wie im Völkerschicksal, wie im Menschheitsschicksal, wie in der Naturordnung? Wie ist der Mensch zu dem geworden, was er heute ist?

Aber über all diese Fragen, die wir bewegen, aber noch offenlassen müssen, mögen wir nicht den Ausblick des hl. Paulus vergessen (1 Kor. 13,12):

Jetzt sehen wir durch einen Spiegel im Rätsel, alsdann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt ist mein Erkennen Stückwerk, dann aber werde ich erkennen, so wie auch ich erkannt bin.


Hendrick ter Brugghen: Der ungläubige Thomas

Sonntag, 3. Dezember 2023

Den Sinn ändern

peccavimus et facti sumus tamquam immundus nos
et cecidimus quasi folium universi
et iniquitates nostrae quasi ventus abstulerunt nos

Wir haben gesündigt und sind Unreine geworden,
Wie ein Blatt sind wir alle gefallen,
Und unsere Missetaten haben uns fortgetragen wie der Wind

Aus dem Adventsgesang Rorate Caeli, nach Jesaja 64,6

Die poetischen Bilder dieses Klagegesanges, die vom Propheten Jesaja stammen, laden zu einer näheren Betrachtung ein, denn sie umschreiben unsere irdische Verfaßtheit.

Zentraler Gedanke ist die Feststellung, daß wir gewissermaßen “nicht in der Ordnung leben” - und damit nicht "in Ordnung sind". Das kann der Anfang einer tiefgreifenden Sinnesänderung werden.

Wir sind gefallen wie ein Blatt. - Ein Blatt fällt langsam immer tiefer, wobei es in einer ziellos schwingenden Bewegung mal in diese, mal in jene Richtung wandert. Der leiseste Wind kann es ergreifen und mit sich nehmen, bevor er das Interesse an ihm verliert und es wieder in seinen eigenen Fall entläßt. Die horizontalen Bewegungen erregen zwar die Aufmerksamkeit - bei allem aber bleibt eines sicher: der stete Fall, die Abwärtsbewegung.

So ist es auch mit uns. Wir lassen uns forttragen, wähnen uns vielleicht sogar in zielgerichteter Eigenbewegung, aber wir haben in Wahrheit keinen festen Halt. Und ohne den ist nur eines sicher: daß es immer weiter bergab geht mit uns. Womit ich nicht den unausweichlichen Verfall des Leibes meine, sondern vor allem und in erster Linie den Verfall der Seele.

Dabei haben wir, anders als das Blatt, tief in uns die Sehnsucht, in der Ordnung zu sein. Der Fall ist nur die Folge einer aktiven Verdrängung dieser Sehnsucht. Das ist der Grund, daß die Strophe aus dem Rorate-Gesang mit dem Wort peccavimus beginnt - wir haben gesündigt. Aktiv Perfekt - Ursache des Falls ist eine aktive innere Abwendung, eine Verdrängung dessen, was das Gute und Richtige gewesen wäre, die zu unserer Vorgeschichte gehört. Das zieht die Krankheit des Aussatzes nach sich - das Seelenkleid wird fleckig und häßlich, denn die eigene Kraft ist nicht stark genug, um es rein zu erhalten. Schließlich erlischt das innere, übernatürliche Leben der Seele vollständig.

Eine typische, von der Gesellschaft einprogrammierte Reaktion auf solche Gedanken ist: “Hört auf mit diesem Gerede von Schuld und Sünde - laßt uns doch positive Gedanken pflegen, laß es uns einfach gut miteinander haben!” Denn das Thema Schuld und Sünde gehört zu den unbeliebten Teilen der Religion. Religion wird geduldet, wenn sie das sogenannte “selbstbestimmte Leben” nicht besonders stört, wenn sie der spirituellen Erbauung dient und dem einzelnen einen Sinn gibt - aber nicht wenn sie mahnt und warnt, zu Buße und Gebet aufruft.

Das Bewußtsein von der Sündhaftigkeit - und damit eng verknüpft: die Sehnsucht, wieder in der Ordnung zu sein - ist kein Sondergut der christlichen Religion, sondern etwas allgemein Menschliches, das in unsere Seelen gelegt ist. Viele Kulturen legen davon Zeugnis ab. Die alten Ägypter strebten beispielsweise besonders danach, in der Ma’at zu leben - im Frieden und in der Ordnung mit den Göttern und den Menschen; das zugrundeliegende Verb ma’a heißt soviel wie “richten” oder “lenken”. Auf einer USA-Reise erfuhr ich einmal, daß das Wichtigste im Leben eines Navajo-Indianers etwas war, das er Hózhó nannte - was soviel wie Schönheit, Harmonie oder Ordnung heißt. Eine Sehnsucht nach diesem Zustand kann aber nur entstehen, wenn man bemerkt, daß man noch nicht (oder: nicht mehr) in ihm ist.

Aber die Ursache für das Leben außerhalb der Ordnung liegt allein in unserem Willen. Wir selbst sind dafür verantwortlich. Zum Begriff der Sünde (die mit "Absonderung" wortverwandt ist) gehört das Selbstverschuldete, der selbstgewählte Akt des Sich-Verschließens. Wir verschließen Augen und Ohren für die Quelle, von der her alles wieder gerichtet werden könnte.

Nebenbei: es ist nicht nur für den einzelnen, sondern auch für die Gemeinschaft als Ganzes das Beste, in dieser Ordnung zu sein. Die Sehnsucht des einzelnen, sich selbst auf diese Ordnung hin auszurichten, geht in Harmonie mit dem richtigen Leben unter den Mitmenschen. Letzteres - der richtige Umgang mit den Mitmenschen - fließt aus der Quelle, ohne selbst die Quelle zu sein, als bloße Wirkung. Dies könnte zu anderer Gelegenheit näher betrachtet werden.

An den Umkehrpunkten der Hin- und Herbewegungen des Blattes merken wir selbst, daß die Richtung nicht stimmt. Wir geraten in eine Lebenskrise und suchen nach neuen Wegen. Beispielsweise bemerken wir eine zunehmende Trockenheit oder Leere, wenn wir in der bisherigen Richtung weitergehen würden, oder wir spüren, daß dieser Weg nicht die erhoffte Erfüllung bringen wird. Eine Verheißung, die am Anfang stand, erweist sich als trügerisch. Oder wir sind so tief verstrickt in einen falschen Weg, die Konsequenzen treffen uns so deutlich und schmerzhaft, daß es uns nicht mehr möglich ist, die Augen davor zu verschließen. Dann greifen wir schnell nach einem neuen Ziel, meist ohne uns zu fragen, ob dies nun ein höherwertiges ist, oder wieder nur ein Windhauch, nur diesmal aus einer anderen Richtung, der sein Spiel mit uns treibt. Oft ist uns sogar mehr oder weniger bewußt, daß wir uns mit all dem nur zerstreuen, uns ablenken von schmerzhaften, aber wahren Einsichten.

Ein bekanntes, leicht melancholisches Herbstgedicht von Rainer Maria Rilke nimmt auch von der Beobachtung fallender Blätter seinen Ausgang:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

In diesem schicksalhaften Fallen ist Erlösung möglich durch Hinwendung zu dem, der uns auch in unserem Fallen in seinen Händen hält: Johannes der Täufer, der Wegbereiter des Herrn, predigte: “Ändert euren Sinn!” Darin liegt die Rettung: sich aus dem Hin und Her dieser Welt herauszuziehen, sich für die höheren, himmlischen Dinge zu öffnen, und sich bereit zu machen, von Christus berührt und von Grund auf verwandelt zu werden.

Donnerstag, 3. Juni 2021

Iterationen beim Entwickeln

Programmierkunst

Das Entwickeln von Software ist ein schöpferischer Vorgang: es gibt kein Rezept, kein "Schema F", das man einfach nur lernen und anwenden müßte, um eine gegebene Anwendungslogik zu implementieren, also in ein System zusammenarbeitender Objekte und Datenstrukturen umzusetzen . 

Was wir nur haben, ist eine Sammlung von Empfehlungen, von Best Practices, von Erfahrungsregeln, auch von kolossalen Fehlschlägen in der Vergangenheit. So wächst die Kunst des Entwickelns – sowohl des einzelnen Entwicklers als auch des ganzen Berufsstands – mit jedem Erfolg und mit jedem Fehlschlag.

Reflexion

Dieses Wachstum beruht vor allem auf der Reflexion. Der Zugewinn durch eine konkrete Aufgabe entsteht nicht darin, sie einfach nur gelöst zu haben, so daß ich etwas Funktionierendes abliefere. Der Zugewinn entsteht allein dadurch, daß ich mich frage: 

  • Was kann ich von dieser Arbeit mitnehmen?
  • Welche allgemeinen Features, die gar nicht spezifisch für diese Aufgabe sind, kann ich in späteren Aufgaben wiederverwenden?
  • Wie war die Arbeit?
  • Auf welche Probleme bin ich beim Implementieren gestoßen?
  • Was hat mich unverhältnismäßig lange aufgehalten?
  • Wie habe ich die einzelnen Teilaufgaben konkret gelöst?
  • Wie paßt das Produkt in den Gesamtkontext der Entwicklungen im System?
  • Was hätte ich besser machen können?
  • Was kann ich vielleicht auch jetzt, wo die Sache schon gerade auf "Testbereit" gesetzt wurde, aber noch frisch und in meinem Kopf noch maximal präsent ist, an der Lösung verbessern, am internen Zusammenspiel der Klassen, am Datenmodell, an der Effizienz?

Loops

Es hat sich gezeigt, daß Loops wie solche Reflexionsschritte – die Schwungräder des produktiven Arbeitens sind. Eine Loop besteht – allgemein gesprochen – darin, daß zu einem bestimmten Punkt die Arbeit nicht einfach nur linear fortgesetzt wird, sondern das bislang Produzierte aus einem Distanzverhältnis heraus angeschaut und bewertet wird.

Was bedeutet das? Zur Loop gehören:

  • eine Kontrollinstanz, die ich Agent nennen möchte
  • eine konkrete reflektierende Tätigkeit,
  • und ein Ergebnis, das Einfluß auf den Hauptstrom der Tätigkeit hat.

Agenten

Wer ist der Agent? Er steht, wie gesagt, in einem distanzierten Verhältnis zum aktuellen Produktionsprozeß. Dieser Agent kann sein:

  • der Produzent selbst, indem er seine eigene Arbeit aus der Distanz betrachtet
  • eine andere Person,
  • oder eine Maschine.

Die reflektierenden Tätigkeiten

Was für reflektierende Tätigkeiten führt der Agent aus?

  • Er kann die Einhaltung formaler Standards im Produkt überwachen
    (gut geeignet für maschinelle Agenten).
  • Er kann das Produkt auf die beabsichtigte Funktion hin testen.
  • Er kann die konkrete Ausgestaltung des Produkts auf seine Güte hin bewerten
    (etwa nach Kriterien wie Ergonomie, Zugänglichkeit, Performance).
Diese Tätigkeiten sind hier aufsteigend nach Schwierigkeit aufgeführt. Die Bewertung auf Güte ist das Schwierigste, da sie kaum operationalisierbar ist, nur von einem Menschen ausgeführt werden kann und die Kriterien der Bewertung vom Erfahrungswissen des Menschen abhängen, oft nur als implizites Wissen im einzelnen Menschen vorliegen.

Wirkung

Welchen Einfluß auf den Produktionsprozess hat die Loop?

  1. Die Justierung des Arbeitsschrittes auf das Gesamtziel hin:
    • die Vergewisserung, daß man noch "auf Kurs" ist, oder
    • die Verbesserung des gerade reflektierten Arbeitsabschnitts. Man geht gewissermaßen in der Zeitachse zurück zum Beginn dieses Abschnitts und korrigiert oder verbessert
  2. Man hat etwas gewonnen (Erfahrung, Wissen, wiederverwendbare Teile der Arbeit) und kann es mitnehmen für spätere Aufgaben

Die Arbeit des Entwickelns

Wenn man genauer hinschaut, besteht die Arbeit des Entwickelns bis in die kleinsten Schritte immer aus solchen Loops. Wenn ich in die Entwicklungsarbeit zu irgendeinem Zeitpunkt t hineinzoome, sehe ich beispielsweise folgendes:

  • Ich produziere eine oder mehrere Codezeilen.
  • Ich bekomme beim Aktivieren Syntaxfehler der Methode
  • Ich korrigiere diese.
  • Dasselbe eine Ebene höher: eine syntaktisch korrekte Methode kann immer noch zu Syntaxfehlern auf Ebene der Klasse führen.
  • Auch diese korrigiere ich.
  • Wenn ich das Gefühl habe, die Änderung könnte Risiken für Subklassen haben, wähle ich "KlassePrüfenSyntax (Subklassen)". Das muß ich allerdings aktiv tun, dem ging also die Reflexion über mögliche Seiteneffekte meines gerade produzierten Codes voraus.
  • Wenn ich auf diese Weise einige Zeit gearbeitet habe, ist die Klasse als Ganzes in einem Zustand für weitere Prüfungen (den Zeitpunkt ermittele ich durch Reflexion).
  • Dann füge ich den Reflexionsschritt "Erweiterte Syntaxprüfung" und/oder "Code Inspector" und/oder "Unittests" ein. Dies sind bereits Loops, die einen größeren Teil meiner in vielen kleineren Iterationsschritten geleisteten Arbeit zusammenfassen.
  • Ich bewerte die Ergebnisse dieser Reflexionsschritte: sind die Prüfungen der Erweiterten Syntaxprüfung oder des CodeInspectors wirklich relevant? Oft sind es nur Warnungen, die auf potentielle Probleme hinweisen.
  • Ich bewerte die Ergebnisse der bestehenden Unit Tests auf die Abdeckung des Codes hin: wie gut ist die Methoden- und Zweigabdeckung? Für völlig neue Methoden sollte ich spätestens jetzt erwägen, das beabsichtigte Programmverhalten durch einen Unit Test abzudecken – wenn auch nicht starr: es ist völlig in Ordnung, wenn mich eine Aufwand/Nutzen-Überlegung dazu führt, keinen Unit Test zu schreiben, weil der Aufwand, die gerade entwickelte Codeeinheit mit (weiteren) Unit Tests abzusichern, zu hoch ist im Verhältnis zum Nutzen.
  • Wenn ich auf diese Weise einige Codeeinheiten erstellt habe, will ich ihr Zusammenwirken testen. Dazu führe ich einen Entwicklertest aus. Üblicherweise machen wir das heute noch manuell:
  • wir rufen beispielsweise eine Transaktion auf und schauen, ob das neue Feld korrekt versorgt und fortgeschrieben wird, oder ob die neue Prüfung korrekt in das Transaktionsverhalten integriert ist.
  • oder wir rufen Methoden, Funktionsbausteine oder Sequenzen von Funktionsbausteinen im Einzeltest auf
  • oder wir schreiben sogar kleine Testreports, die ein bestimmtes Feature überprüfen.
    Diesen Testreports messen wir oft keine große Bedeutung zu, betrachten sie als "Wegwerf-Code". Zu Unrecht. Wenn wir uns die kleine Mühe machen würden, diesen Testcode statt in einem Programm in der Methode einer Testklasse zu implementieren, wäre für die Zukunft schon einiges gewonnen. Es zeigt sich nämlich immer wieder, daß jeder, der später auf dieses Thema zurückkommt, genau nach solchen einfachen Run Tests sucht, um das Laufzeitverhalten anzuschauen. Findet er nichts, muß er den "Wegwerfcode" noch einmal neu schreiben.
  • Schlägt der Entwicklertest fehl, analysiere ich das Programmverhalten und gehe dabei geistig zurück zum Punkt t-∆t, als ich den neuen Code eingefügt hatte. Wird er überhaupt aufgerufen? Wird seine Schnittstelle beim Aufruf korrekt versorgt? Werden die übergebenen Daten gemäß der von mir beabsichtigen Logik verarbeitet? Klappt die Ergebnisübergabe an die UI-Objekte?
  • Funktioniert der Entwicklertest, so mache ich mich an die Entwicklung des nächsten Features und verfahre wieder wie eben beschrieben.
  • Habe ich einen gewissen Stand erreicht, so beurteile ich (eigener Reflexionsschritt), ob die Anzahl der entwickelten Features bereits ausreicht, um die Weiterentwicklungen ins Q-System zu transportieren und dort integrativ testen zu lassen.
  • Der Berater testet das neue Feature-Set im Q-System mit seinen Daten, nach seinen Regeln, mit seiner Sicht auf die Prozesse, mit seinen eigenen Akzeptanzkriterien.
  • Der Berater meldet mir seine Ergebnisse zurück, positive wie negative.
  • Negative Ergebnisse versuche ich mit einem Entwicklertest zu reproduzieren.
  • Gelingt mir dies nicht, muß ich das Problem im Q-System analysieren und den Grund herausfinden, warum im D-System das Symptom nicht zu reproduzieren war.
  • Gelingt es mir, muß ich die gerade entwickelten Codeeinheiten auf dieses Symptom hin analysieren (das wäre der Fehlerfall), oder – der häufigere Fall – bislang nicht beschriebene, aber eigentlich gewünschte Features in mein Backlog für die weitere Arbeit aufnehmen. (Aufgrund der Komplexität des Systems ist es meist nicht möglich, alle benötigten Features in allen möglichen Szenarien bereits im Vorfeld zu beschreiben.)

Wie man sieht, besteht die Arbeit letztlich aus lauter kleinen Mikro-Iterationen, die von etwas größeren Iterationen umfaßt werden usw.


In das quantitative Schema eines "Kausalschleifendiagramms" gefaßt (mit Pfeilen vom Typ "je mehr …, desto mehr/weniger…"), ist jede einzelne Iteration, selbst die kleinste, von folgendem Typ:


Man sieht, daß im Reflexionsschritt stets ein Standard von außen dazukommt ("Desired Product Quality"). Ist man selbst der Agent des Reflexionsschritts, setzt man sich gewissermaßen "einen anderen Hut auf", um diese Anforderungen an das Produkt heranzubringen. Das funktioniert, ist aber nicht unbedingt die beste Wahl. Denn ein Außenstehender findet mögliche Schwachstellen eines Produkts oft besser als sein Hersteller.

Das, was hier mit "Desired Product Quality" beschriftet ist, können Syntaxregeln oder Entwicklungsrichtlinien sein, auch weniger formale Anforderungen wie Wiederverwendbarkeit, Wartbarkeit, Intentionalität des Codes, und natürlich die Produktanforderungen, wie sie z.B. in den Use Cases beschrieben wurden. Eigentlich alle Anforderungen an das Produkt neben der einen, die ich gerade implementiert habe (und auch diese eine noch hinsichtlich der Seitenaspekte wie Korrektheit usw., die ich beim Entwickeln nicht im Auge hatte.)

Montag, 4. Januar 2021

Vergiß den Letzten nicht!

Eine Gruppenschleifenfunktion in JavaScript


Eine bekannte Konstruktion


Bei der Abarbeitung von Listen in einer Schleife will man häufig die Elemente der Liste zu Gruppen zusammenfassen und dann für jede Gruppe eine Aktion ausführen. Es kann beispielsweise eine Liste von Positionen mehrerer Aufträge gegeben sein, und man will pro Auftrag eine Funktion aufrufen, um dessen Positionen zu verbuchen:

AuftragPos.Aktion
471110
471120
471130Auftrag 4711 verbuchen
471210
471220Auftrag 4712 verbuchen
471310
.........
489910
489920Auftrag 4899 verbuchen

Neben der vollständigen Liste allItems aller Auftragspositionen ist also noch ein "Gruppenwechselkriterium" gegeben, um zu erkennen, ob mit der aktuellen Position ein neuer Auftrag begonnen wurde. Ist dieses erfüllt, führt man die Aktion aus. Wenn nicht, sammelt man die Position weiter im "Gruppenarray".

Und hier muß man nun Vergiß den Letzten nicht! beachten: nachdem die Schleife beendet wurde, befinden sich die Positionen des letzten Auftrags im Gruppenarray, wurden aber noch nicht verbucht. Man muß daher den Verbucher nicht nur beim Gruppenwechsel aufrufen, sondern ausdrücklich noch ein letztes Mal nach Beendigung der Schleife.

Von der Idee her müßte der Code also etwa so aussehen:
let orderItems = [], previousItem;
for (let item of allItems) {
  if ( previousItem !== undefined && 
       item.orderNumber != previousItem.orderNumber ) {
    saveOrder(orderItems);
    orderItems = [];
  }
  orderItems.push(item);
  previousItem = item;
}
// Don't forget the last!
if (orderItems.length > 0) saveOrder(orderItems);

Dieser an die Schleife hinten angehängte Extra-Aufruf von saveOrder() ist häßlich, aber leider nötig. Es gibt keinen vernünftigen Weg, ihn zu vermeiden.[1] Der Grund ist, daß man bei der Prüfung auf Gruppenwechsel gewissermaßen zurückschaut: von der neuen Position wird auf die zurückliegenden Positionen geschaut, und durch den Vergleich mit der zuletzt durchlaufenen Position wird erkannt, daß wieder ein Auftrag verbucht werden muß. Die Positionen dieses Auftrags werden also zu einem Zeitpunkt verbucht, zu dem sie "gar nicht mehr aktuell" sind, weil man bereits bei der ersten Position des nachfolgenden Auftrags angekommen ist. Für die Positionen des letzten Auftrags gibt es aber keine nachfolgende Position mehr, von der aus man zurückschauen kann.

Idee: eine Gruppenschleifenfunktion


Man könnte sich aber ein Konstrukt "Gruppenschleife" ausdenken, in der diese Art der Gruppenbildung - inclusive des häßlichen letzten expliziten Aufrufs - hinter den Kulissen abgearbeitet wird. Tatsächlich gibt es in der Programmiersprache ABAP genau ein solches Konstrukt - die sehr mächtige Anweisung LOOP AT ... GROUP BY ... (die neben dieser Aufgabe noch eine Menge anderer Aufgaben rund um das Thema "Gruppierung von Einträgen interner Tabellen" löst). Dann müßte man genau noch einmal das häßliche Don't forget the last programmieren, aber eben hinter den Kulissen, in der Implementierung des Konstrukts "Gruppenschleife", das dann im Anwendungscode nur noch aufgerufen wird.

In JavaScript würde man nicht die originale Liste abarbeiten, sondern einen Gruppeniterator, der in jedem Iterationsschritt die Gruppe der zu dieser Auftragsnummer gesammelten Position liefert (Voraussetzung ist natürlich, daß die Liste nach der Auftragsnummer sortiert ist, also Positionen zum gleichen Auftrag in der Liste aufeinander folgen).

Mit einer (noch zu schreibenden) Funktion groupsByKey() könnte der obige Code dann wie folgt vereinfacht werden, wobei die Absicht des Programms klarer ausgedrückt wird und die technischen Details der Gruppenbildung in diese Funktion ausgelagert werden:
for (let orderItems of groupsByKey(allItems,it=>it.orderNumber)) {
  saveOrder(orderItems);
}

Wie sie zu schreiben wäre


Damit eine solche Funktion groupsByKey() ihre Arbeit tun kann, braucht sie zweierlei:
  • Eine Liste (ein iterierbares Objekt) baseIterable - im Beispiel die Grundliste allItems vieler Auftragspositionen
  • Eine Funktion getKey(), die einem Element der Liste seinen Gruppenschlüsselwert zuordnet. Durch Vergleich der Gruppenschlüsselwerte kann die Gruppenschleifen-Implementierung erkennen, daß ein Gruppenwechsel vorliegt.

Man könnte sich nun eine Implementierung vorstellen, die einen Array von Arrays (AoA) zurückliefert: der äußere Array zählt die einzelnen Gruppen auf, und jede einzelne Gruppe ist ihrerseits ein Array, bestehend aus den Elementen dieser Gruppe. Diese Lösung würde aber keinen effizienten Gebrauch vom Speicher machen, was für große Arrays ein Problem darstellen kann.

Eine bessere Lösung ist es, die Funktion groupsByKey() nur einen Iterator zurückgeben zu lassen und die einzelnen Gruppen nur pro Iterationsschritt zurückzugeben. Während also der Aufrufer über die Gruppen iteriert:
for (let orderItems of groupsByKey(allItems,it=>it.orderNumber)) { ... }
wird in der Implementierung von groupsByKey über die Elemente von allItems selbst iteriert.

Generatorfunktionen in JavaScript


Das für eine solche Implementierung perfekt passende Konstrukt sind in JavaScript die sogenannten Generatorfunktionen, die mit dem Schlüsselwort function* definiert werden. Bei einem Iterationsschritt werden sie ausgeführt, bis sie zur nächsten yield-Anweisung stoßen. Den dort angegebenen Ausdruck geben sie zurück. Beim nächsten Iterationsschritt werden sie genau nach dem letzten yield fortgesetzt, wobei der gesamte Ausführungskontext der Funktion erhalten bleibt. Wird die Funktion schließlich beendet, so wird auch die Iteration beendet.

Die Gruppenschleife kann daher als function* wie folgt definiert werden:
function* groupsByKey(baseIterable,getKey) {

  let currentGroup = [];
  for (let entry of baseIterable) {
    let key = getKey( entry );
    if (currentGroup.key !== key) {
        yield currentGroup;  // Gruppen-Array an Aufrufer zurückgeben
        currentGroup = [];   // Gruppen-Array für neuen Key initialisieren
        currentGroup.key = key;
      } 
    }
    currentGroup.push(entry);
  } 
  // "DON'T FORGET THE LAST" (falls baseIterable nicht leer war):
  if (currentGroup.length > 0) {
    yield currentGroup;
  }
  
}

Wie man sieht, gibt es immer noch den Teil DON'T FORGET THE LAST, bei Verwendung dieser Funktion aber eben nur noch einmal - und zwar hinter den Kulissen, nicht mehr im Anwendungscode selbst.

In dieser Implementierung sind die bei der Iteration gelieferten Gruppenobjekte einfach Arrays, die die einzelnen Elemente der Gruppe bis zum Gruppenwechsel enthalten, "verziert" mit einem zusätzlichen Attribut key, das den Schlüssel dieser Gruppe enthält.

Die Funktion groupsByKey() wäre ein Kandidat für eine Bibliothek übergreifender (applikationsunabhängiger) Funktionen, die dann für die verschiedensten konkreten Gruppenschleifen genutzt werden kann.

Noch ein Beispiel


Nehmen wir beispielsweise an, testArray sei ein sortierter Array natürlicher Zahlen. Dann können wir ihn mit dem folgenden Code in Tausendern gruppieren:
for (let g of groupsByKey(testArray,x=>Math.floor(x/1000))) {
  console.log(g.key,[...g])  
}
Die Konsole gibt dann beispielsweise aus:
  0 [ 364 ]
  2 [ 2628 ]
  3 [ 3208, 3550 ]
  4 [ 4110, 4602, 4851 ]
  5 [ 5480, 5532, 5533 ]
  7 [ 7032, 7385, 7485, 7632 ]
  9 [ 9271 ]

Beliebige groupChange()-Funktionen


Die Funktion groupsByKey() ist noch leicht verallgemeinerbar. Die Annahme war ja, daß die Einträge über eine Schlüsselfunktion getKey() zu gruppieren sind, wobei vorausgesetzt wird, daß Einträge gleichen Schlüssels in der Grundliste aufeinanderfolgen. Das ist aber schon eine Spezialisierung. Eigentlich benötigt man nur eine Funktion groupChange(currentEntry,lastEntry), die für aufeinanderfolgende Einträge des Arrays aufgerufen wird (wie im allerersten Beispiel dieses Blogposts) und true zurückliefert, falls ein Gruppenwechsel vorliegt. Wie ein Gruppenwechsel definiert wird, liegt dann voll in der Freiheit des Aufrufers.

Nun ist natürlich die Ermittlung des Gruppenwechsels über eine Schlüsselfunktion schon der häufigste Anwendungsfall. Daher sollte man aus der obigen Funktion groupsByKey() eine allgemeinere Iteratorfunktion groups() extrahieren, die mit einer beliebigen groupChange-Funktion arbeitet. So ergeben sich schließlich zwei Funktionen:
// Implementation of the function "groups()" 
// using a generator function
function* groups(baseIterable,groupChange) {

  let currentGroup = [], previousEntry;
  for (let entry of baseIterable) {
    if (previousEntry !== undefined) {
      if (groupChange(entry,previousEntry)) {
        yield currentGroup;
        currentGroup = [];
      } 
    }
    currentGroup.push(entry);
    previousEntry = entry;
  } 
  // "DON'T FORGET THE LAST" 
  // (if there were iterations at all)
  if (currentGroup.length > 0) {
    yield currentGroup;
  }

}

// The most typical use case: entries grouped by key
function* groupsByKey(baseIterable,getKey) {
  let key,lastKey; // Buffer current key and last key
  let groupChange = (a,b)=>{    
    lastKey = key ?? getKey(b);
    key = getKey(a);
    return key!=lastKey;
  };
  for (let g of groups(baseIterable,groupChange)){
    g.key = lastKey;
    yield g;
    lastKey = key;
  }
}
Die etwas umständliche Pufferung von key und lastKey in dieser Implementierung von groupsByKey() (die identisch wie die obige funktioniert, nur daß eben der eigentliche Gruppenschleifenmechanismus in eine allgemeinere Funktion groups() ausgelagert wurde) dient erstens dazu, daß die Funktion getKey() pro Eintrag wirklich nur einmal aufgerufen werden muß; zum anderen wird der lastKey verwendet, um das Attribut key des Gruppen-Arrays zu setzen (ebenfalls ohne getKey() noch einmal aufrufen zu müssen).

Online Testen


Hier kann man den Code in action betrachten - auf der JavaScript-Online-Plattform repl.it.





Sonntag, 15. Dezember 2019

Ostertermin und Osterparádoxa

Bewegliche Feiertage im Kirchenjahr
Die zyklische Osterrechnung (computus)
Das Osterparádoxon 2019
Über eine Reform der Osterrechnung
Paradoxien von 1950 bis 2050

Warum haben wir eigentlich die sogenannten "beweglichen Festtage"? Warum kann man sie nicht - wie die übrigen Feiertage - auf ein festes Kalenderdatum mit Tag und Monat legen?

Der Grund ist, daß unser Kalender am Sonnenjahr orientiert ist – die Kalendermonate fallen immer in die gleichen Jahreszeiten des Sonnenjahres – während die beweglichen Feste eine Mondkomponente haben: sie sind alle am Osterfest ausgerichtet, und dieses ist durch den Zusammenhang mit dem jüdischen Passahfest mit dem Mondkalender verknüpft – konkret: mit den Vollmondterminen.

Bewegliche Feiertage im Kirchenjahr

Der Termin für das Osterfest schwankt von Jahr zu Jahr, wobei er frühestens am 22. März und spätestens am 25. April liegen kann.

Mit dem von Jahr zu Jahr variierenden Ostertermin bewegt sich ein großer Teil des ganzen Kirchenjahres im Kalenderjahr: vom Sonntag Dominica in Septuagesima der Vorfastenzeit bis zum Fronleichnamsfest 60 Tage nach Ostern sind es 124 Tage, und auch das nachfolgende, bis zum November reichende tempus per annum post Pentecosten (die "nachpfingstliche Zeit im Jahr"), mit dem das Kirchenjahr ausklingt, hängt vom Ostertermin ab.

  • Am 9. Sonntag vor Ostern beginnt mit dem Tempus Septuagesimae die Vorfastenzeit (mit den Sonntagen Septuagesima, Sexagesima und Quinquagesima)
  • Mit dem Aschermittwoch, dem Mittwoch nach Quinquagesima, beginnt das Tempus Quadragesimae, die eigentliche Fastenzeit. Die Fastenzeit dauert vom Aschermittwoch bis zum Karsamstag und besteht somit genau aus 40 Werktagen und sechs Sonntagen (letztere sind im Gedenken an die Auferstehung Jesu vom Fasten ausgenommen). Der erste Sonntag der Fastenzeit heißt auch Quadragesima oder Invocabit (nach seinem Introitusvers).
  • Das sogenannte Triduum Paschale bezeichnet die mit dem Gründonnerstagabend beginnende, über Karfreitag und Karsamstag bis zum Ostersonntag reichende Zeit. Sie ist die bedeutendste, heiligste Zeit des ganzen Kirchenjahres und gilt, obwohl sie sich über drei Tage erstreckt, als ein einziges Hochfest.
  • Über die fünf Sonntage nach Ostern erstreckt sich das Tempus Paschatis, die eigentliche Osterzeit. Der fünfte Sonntag heißt auch Rogate, weil er die sogenannten “Kleinen Bittage” einläutet, die besonders dem Gebet gewidmet sein sollen und die dem Fest Christi Himmelfahrt vorausgehen.
  • In das mit Christi Himmelfahrt beginnende Tempus Ascensionis fällt genau ein Sonntag, Exaudi, der von der Sehnsucht nach dem Antlitz Gottes geprägt ist (quaesivi vultum tuum heißt es im Introitus - ich suche Dein Angesicht).
  • Mit dem 50. Tag nach Ostern, dem Pfingstsonntag, beginnt die Pfingstoktav (Octava Pentecostes), zugleich die achte und letzte Woche der österlichen Zeit, die mit dem nachfolgenden Dreifaltigkeitssonntag zu ihrem End- und Schlußpunkt kommt.
  • Im Dreifaltigkeitssonntag (Trinitatis) gipfeln die großen christlichen Feste Weihnachten, Ostern und Pfingsten zu ihrer unüberbietbaren Vollendung auf, münden sie doch in die geheimnisvolle Tiefe des unendlichen, dreifaltigen Gottes.
  • Die nun folgenden 23 bis 28 Wochen bis zum Beginn des nächsten Kirchenjahres, also bis zum nächsten 1. Advent, werden als Tempus per annum post Pentecosten bezeichnet. Es sind Wochen der Aussendung und des Glaubenszeugnisses. Im Evangelium des Dreifaltigkeitstags (Mt 28:18-20) sagt Jesus, daß ihm alle Gewalt gegeben ist im Himmel und auf Erden, und er beauftragt seine Jünger, also jeden Christen, zu allen Völkern der Erde zu gehen und sie in das Mysterium der Dreifaltigkeit einzutauchen. Schließlich verheißt er denen, die ihm nachfolgen, daß er bei ihnen bleiben wird bis zum Ende der Welt.
  • Am Donnerstag 60 Tage nach Ostern, schon im Tempus per annum post Pentecosten gelegen, wird das Fronleichnamsfest gefeiert. Auf eine Vision der heiligen Juliane von Lüttich zurückgehend (1209), spiegelt es das, was am Gründonnerstag eher innerlich gefeiert wurde – die Einsetzung des Allerheiligsten Altarsakraments durch Jesus Christus – um dieses Sakrament in einer feierlichen Prozession nach draußen zu tragen.
  • Am dritten Freitag nach Pfingsten, also 68 Tage nach Ostern, feiert die Kirche das Hochfest vom Heiligsten Herzen Jesu, aus dem die Liebe Gottes zu den Menschen entströmt - durch Seine Opfertat zu Golgotha ebenso wie durch die Sakramente Seiner Kirche. Dieser Festtag ragt schon weit in das tempus per annum post Pentecosten hinein.

Um diesen Zeitraum in das restliche, im Kalenderjahr fest bleibende Kirchenjahr einzufügen, läßt man einige der Sonntage nach Epiphanias (6. Januar) und vor dem Beginn der (beweglichen) Vorfastenzeit aus - und fügt sie dafür nach dem 22. Sonntag nach Pfingsten in die liturgische Ordnung ein.

Die zyklische Osterrechnung (computus)

Das zentrale bewegliche Fest, auf das die anderen beweglichen Festtage bezogen sind, ist Ostern, das Fest der Auferstehung Christi. Die Kreuzigung Christi fiel (so geht aus den Evangelien hervor) auf einen Freitag vor dem Beginn der jüdischen Passahfestwoche. Es muß sich also um einen Freitag gehandelt haben, der zugleich im jüdischen Kalender auf den 14. Tag des Frühlingsmonats Nisan fiel (denn am 15. Nisan beginnt bei den Juden das einwöchige Passahfest), vgl. O. Gerhardt (1930) für die Fragen der genauen Datierung der Kreuzigung Christi.

Angelehnt an diese Datierung hat man den Ostertermin folgendermaßen definiert:

Ostersonntag ist der erste Sonntag nach dem Tag des ersten "Vollmonds" ab "Frühlingsanfang".

Die Definition ist aber nicht naturalistisch: die Begriffe "Vollmond" und "Frühlingsanfang" sind nicht rein astronomisch, sondern kalenderarithmetisch bestimmt. Die rein astronomischen Ereignisse des Frühlingsanfangs und Vollmonds sind nur mit den Methoden der astronomischen Störungs- oder Mehrkörpertheorie exakt zu bestimmen, da die wechselseitigen Anziehungskräfte aller Himmelskörper unseres Sonnensystems zu berücksichtigen sind.

Kalender haben eine für den bürgerlichen Gebrauch vereinfachte, praktisch brauchbare tagesgenaue Systematik zu bieten, die an diesen natürlichen Ereignissen orientiert ist, ohne sie exakt reproduzieren zu müssen. Speziell für die Berechnung des Osterfestes gibt es eine eigene Spezialdisziplin in der traditionellen Chronologie, den sogenannten Computus.

Für die Osterberechnung arbeitet der Computus mit folgenden Vereinfachungen:

  • Die Regeln des von Papst Gregor XIII. (1572-1585) angeordneten gregorianischen Kalenders reproduzieren mit großer Genauigkeit die Länge des Sonnenjahrs, so daß man für die Zwecke der Osterrechnung als "Frühlingsanfang" den 21. März definiert.
  • Der erste "Vollmond" ab Frühlingsanfang wird von den Computisten Luna XIV genannt und ist ein Tag, den man zyklisch durch den Kalender wandern läßt. Die Zyklusregel ist, daß er in den 30 Tagen zwischen dem 21. März und dem 19. April von Jahr zu Jahr um 11 Tage zurückwandert (diese 11 Tage entsprechen dem Überschuß des Sonnenjahrs über das Mondjahr aus zwölf Mondmonaten), alle 19 Jahre aber sogar um 12 Tage (der sogenannte saltus lunae, Mondsprung).

    In der Sprache der Arithmetik ist diese Operation im Restklassenring modulo 30 (ℤ30) die Addition "+19". Nach 19 Jahren haben wir einen Verschub von 19·19=361=1 modulo 30, also einem Tag, der durch den Mondsprung auf 0 korrigiert wird. Der Termin Luna XIV wandert also nur durch genau 19 der 30 möglichen Kalenderdaten, solange nicht weitere Modifikationen dieser Regel dazukommen (und natürlich kommen welche dazu!). Wir sind mitten in einem 300 Jahre dauernden Zeitraum, in dem die reguläre Luna XIV nur auf einen der folgenden 19 Termine fällt: den 22., 23., 25., 27., 28., 30., 31. März sowie den 2., 3., 5., 7., 8., 10., 11., 13., 14., 16., 18. oder 19. April (wobei der 19. und 18. April aufgrund von Ausnahmeregeln je um einen Tag zurückdatiert werden).

In einem letzten Schritt nach Ermittlung von Luna XIV ist dann nur noch der auf sie folgende Sonntag zu ermitteln.

In der beigefügten Tabelle kann man die Wanderung von Luna XIV verfolgen (auf das Vorschaubild klicken, um in das Tabellenblatt zu navigieren):

  • Gelb markiert sind die Sonntage.
  • Mit einem "O" sind die aus dem Computus ermittelten Ostersonntage markiert.
  • Mit einem "L" und blauem Hintergrund ist der Luna XIV-Termin des betreffenden Jahres markiert
  • Hellblau sind Tage markiert, meist der 18. oder 19. April, auf die Luna XIV zwar nach rein zyklischer Rechnung fallen würde, die aber unter eine Ausnahmeregelung fallen, um einen zu späten Ostertermin verhindern: ein Ostersonntag am 26. April ist im Kirchenjahr nicht erwünscht, er liegt zu spät – und der 18. wird zurückdatiert, wenn er neben dem 19. als regulärer Termin von Luna XIV vorkommt, damit es im 19jährigen Zyklus immer 19 verschiedene Termine für Luna XIV gibt.
  • Mit einer anderen Farbe sind die Luna XIV-Termine vom 14. April markiert (1957, 1976 usw.), denn dies sind die Jahre, in denen der Mondsprung angewendet wurde und der 19jährige Zyklus wieder beginnt.
  • Mit einem gestrichelten orange Rand sind die Tage des astronomischen Frühlingsvollmonds markiert (Vollmonddatum in Ephemeridenzeit, der Datumswechsel ist also auf den Meridian von Greenwich bezogen).

Wer sich genauer für die lange und spannende Geschichte der Osterrechnung, des Computus, des gregorianischen Kalenders usw. interessiert, dem sei die Webpräsenz von Nikolaus A. Bär empfohlen. Man findet dort - neben sehr genauen Diskussionen vieler historischer Fragestellungen der Kalenderrechnung - auch Statistiken über die Verteilung der Ostertermine sowie Rechner, mit denen man zwischen dem gregorianischen, julianischen, jüdischen und islamischen Kalender umrechnen, Ostertermine berechnen oder suchen kann (also Fragen wie "in welchen Jahren fiel Ostern auf den 11. April?" beantworten kann).

Das Osterparádoxon 2019

Im Jahr 2019 fiel der Ostersonntag auf den 21. April. Der astronomische Frühlingsbeginn war am 20. März um etwa 22 Uhr Weltzeit. In der Frühe des 21. März, etwa um 1:43, wurde der Mond voll. Dies war astronomisch gesehen der Frühlingsvollmond. Würde man für die Ostertermine nur diesen natürlichen Ereignissen folgen, wäre der nächstfolgende Sonntag der Ostersonntag geworden, das war der 25. März.

Luna XIV war aber erst einen Monat später, am 19. bzw. 18. April (nach der erwähnten Ausnahmeregel auf den 18. April zurückdatiert). Der "Ostervollmond" im wahren Sinne des Wortes, der Vollmond vor Ostern, war also nicht der erste, sondern der zweite Frühlingsvollmond (der astronomisch am 19. April um 13 Uhr 20 eintrat). Der nächstfolgende Sonntag war Ostern: der 21. April.

Eine Abweichung des Ostertermins von dem Termin, den man nach einer "rein natürlichen" Berechnung mit dem astronomischen Frühlingsanfang und astronomischen Vollmond erwarten würde, nennt man ein Osterparádoxon. Die Osterparádoxa sind gut erforscht und klassifiziert. Die Abweichung des Jahres 2019 fällt demnach in die Kategorie A+ der sogenannten positiven Äquinoktialparádoxa, die aufgrund eines Unterschieds des astronomischen Frühlingsanfangs entstehen.

Neben diesen Äquinoktialparádoxa gibt es auch noch die sogenannten positiven (H+) und negativen (H-) Hebdomadalparádoxa, bei denen allein die Abweichung des astronomischen vom zyklischen Vollmond den Unterschied ergibt: Bei H- fällt Luna XIV auf einen Samstag, während der astronomische Vollmond am Sonntag folgt, bei H+ ist es umgekehrt.

Weitere Jahre mit solchen Abweichungen sind:

A+1590, 1666, 1685, 1924, 1943, 1962, 2019, 2038, 2057, 2076, 2095, 2114, 2133, 2152, 2171, 2190
H+1629, 1700, 1724, 1744, 1778, 1798, 1876, 1974, 2045, 2069, 2089, 2096
H-1598, 1609, 1622, 1693, 1802, 1805, 1818, 1825, 1829, 1845, 1900, 1903, 1923, 1927, 1954, 1967, 1981, 2049, 2076, 2106, 2119, 2133, 2147, 2150, 2170, 2174

Bei den Parádoxa vom Typ H+ und H- liegt der Fehler bei einer Woche: kirchliches Ostern ist eine Woche später oder früher als ein "rein astronomisch definiertes" Ostern wäre. Dagegen liegen bei den Osterparádoxa vom Typ A+ die Abweichungen bei etwa einem Monat.

Man sieht, daß sich das letzte Osterparádoxon im Jahre 1981 ereignete (vom Typ H-), und das nächste auf das Jahr 2038 fallen wird (wieder vom Typ A+).

Über eine Reform der Osterrechnung

Ein einheitliches Datum für das Osterfest, dieses zentralen Fest im ganzen Kirchenjahr, wäre wertvoll als ein äußeres Zeichen für die Bemühung der Christen um Einheit, die eines der Wesensmerkmale der Kirche ist. Dies hielt Papst Franziskus auf dem Rückflug vom Heiligen Land in einer Pressekonferenz fest (am 26.5.2014):
Ein anderes Thema, über das wir gesprochen haben, damit vielleicht im panorthodoxen Rat etwas getan werden kann, ist das Osterdatum, denn es ist ein bisschen lächerlich: – Sag mir, wann wird dein Christus auferstehen? – Nächste Woche – Meiner ist schon letzte Woche… – Ja, das Osterdatum ist ein Zeichen der Einheit.

Eine Reform der Osterrechnung müßte aber behutsam und mit großer Sensibilität gegenüber dem bisher Bestehenden erfolgen. Unser Zeitgeist neigt leider dazu, die Dinge allzu radikal umzukrempeln: oft wird in hemdsärmeliger Manier viel Sinnvolles, in Jahrhunderten Gewordenes und Gewachsenes um einer einzigen Idee willen zerstört, die man höher als alles andere wertet. Ein Vorbild für eine wirklich gute Reform stellt die Kalenderreform von Papst Gregor XIII. dar, die von Weitsicht, Umsicht und Traditionsbewußtsein zugleich getragen war.

Eine rein an den Naturvorgängen orientierte Definition (ein Vorschlag lautet zum Beispiel: "Ostern ist der erste Sonntag gemäß Jerusalemer Lokalzeit, der auf den ersten astronomischen Vollmond ab astronomischem Frühlingsanfang folgt") erscheint logisch und klar, wichtet aber gerade das Natürliche zu hoch. Es ist auch ein Fest des Gedächtnisses an jenen Ur-Karfreitag und aller Karfreitage, die seitdem auf diesen folgten. Die oben beschriebene Osterparadoxie des Jahres 2019 ergibt zwar einen aus "natürlicher" Sicht um einen Monat verspäteten Ostertermin. Andererseits fiel der Karfreitag 2019 bei dieser "unnatürlichen" Osterterminierung im jüdischen Kalender auf den 14. Nisan 5779, was wieder ein schöner Zusammenklang ist (auch ist es nicht selbstverständlich, daß der 14. Nisan auf einen Freitag fällt).

Paradoxien von 1950 bis 2050

Die folgende Tabelle zeigt die astronomischen Termine des Frühlingsanfangs sowie dreier in Frage kommender Vollmonde (die ab Mitte März gefundenen), dann den daraus ermittelten "astronomischen Ostertermin" und in der letzten Spalte den kirchlichen Ostertermin, falls dieser vom astronomischen abweicht. Alle Zeitangaben sind in Ephemeridenzeit, die von der Weltzeit UTC gegenwärtig um ca. eine Minute abweicht. Die Berechnungen erfolgten mit einem C-Programm, wobei für die kirchlichen Ostertermine die Gaußsche Osterformel verwendet wurde.

Frühling🌕🌕🌕Astr. O.Kirchl. O.
21.3.1950 4h35m2.4.1950 20h49m2.5.1950 5h19m31.5.1950 12h43m9.4.1950
21.3.1951 10h26m23.3.1951 10h50m21.4.1951 21h30m21.5.1951 5h45m25.3.1951
20.3.1952 16h14m10.4.1952 8h53m9.5.1952 20h16m8.6.1952 5h07m13.4.1952
20.3.1953 22h00m30.3.1953 12h55m29.4.1953 4h20m28.5.1953 17h03m5.4.1953
21.3.1954 3h53m19.3.1954 12h42m18.4.1954 5h48m17.5.1954 21h47m25.4.195418.4.1954
21.3.1955 9h35m7.4.1955 6h35m6.5.1955 22h14m5.6.1955 14h08m10.4.1955
20.3.1956 15h20m26.3.1956 13h11m25.4.1956 1h41m24.5.1956 15h26m1.4.1956
20.3.1957 21h16m16.3.1957 2h22m14.4.1957 12h09m13.5.1957 22h34m21.4.1957
21.3.1958 3h06m4.4.1958 3h45m3.5.1958 12h23m1.6.1958 20h55m6.4.1958
21.3.1959 8h55m24.3.1959 20h02m23.4.1959 5h13m22.5.1959 12h56m29.3.1959
20.3.1960 14h43m11.4.1960 20h27m11.5.1960 5h42m9.6.1960 13h02m17.4.1960
20.3.1961 20h32m1.4.1961 5h47m30.4.1961 18h41m30.5.1961 4h37m2.4.1961
21.3.1962 2h30m21.3.1962 7h55m20.4.1962 0h33m19.5.1962 14h32m25.3.196222.4.1962
21.3.1963 8h20m9.4.1963 0h57m8.5.1963 17h23m7.6.1963 8h31m14.4.1963
20.3.1964 14h10m28.3.1964 2h48m26.4.1964 17h50m26.5.1964 9h29m29.3.1964
20.3.1965 20h05m17.3.1965 11h24m15.4.1965 23h02m15.5.1965 11h52m18.4.1965
21.3.1966 1h53m5.4.1966 11h13m4.5.1966 21h01m3.6.1966 7h40m10.4.1966
21.3.1967 7h37m26.3.1967 3h21m24.4.1967 12h04m23.5.1967 20h22m2.4.196726.3.1967
20.3.1968 13h22m13.4.1968 4h52m12.5.1968 13h05m10.6.1968 20h13m14.4.1968
20.3.1969 19h08m2.4.1969 18h45m2.5.1969 5h14m31.5.1969 13h18m6.4.1969
21.3.1970 0h56m23.3.1970 1h53m21.4.1970 16h21m21.5.1970 3h38m29.3.1970
21.3.1971 6h38m10.4.1971 20h10m10.5.1971 11h24m9.6.1971 0h04m11.4.1971
20.3.1972 12h22m29.3.1972 20h06m28.4.1972 12h45m28.5.1972 4h28m2.4.1972
20.3.1973 18h13m18.3.1973 23h34m17.4.1973 13h51m17.5.1973 4h58m22.4.1973
21.3.1974 0h07m6.4.1974 21h01m6.5.1974 8h55m4.6.1974 22h10m7.4.197414.4.1974
21.3.1975 5h57m27.3.1975 10h36m25.4.1975 19h55m25.5.1975 5h51m30.3.1975
20.3.1976 11h50m14.4.1976 11h49m13.5.1976 20h04m12.6.1976 4h15m18.4.1976
20.3.1977 17h43m4.4.1977 4h09m3.5.1977 13h04m1.6.1977 20h31m10.4.1977
20.3.1978 23h34m24.3.1978 16h20m23.4.1978 4h11m22.5.1978 13h17m26.3.1978
21.3.1979 5h22m12.4.1979 13h15m12.5.1979 2h01m10.6.1979 11h56m15.4.1979
20.3.1980 11h10m31.3.1980 15h14m30.4.1980 7h36m29.5.1980 21h28m6.4.1980
20.3.1981 17h03m20.3.1981 15h23m19.4.1981 7h59m19.5.1981 0h04m26.4.198119.4.1981
20.3.1982 22h56m8.4.1982 10h19m8.5.1982 0h45m6.6.1982 16h00m11.4.1982
21.3.1983 4h39m28.3.1983 19h27m27.4.1983 6h31m26.5.1983 18h48m3.4.1983
20.3.1984 10h25m17.3.1984 10h10m15.4.1984 19h11m15.5.1984 4h29m22.4.1984
20.3.1985 16h14m5.4.1985 11h33m4.5.1985 19h53m3.6.1985 3h51m7.4.1985
20.3.1986 22h03m26.3.1986 3h02m24.4.1986 12h47m23.5.1986 20h45m30.3.1986
21.3.1987 3h52m14.4.1987 2h31m13.5.1987 12h51m11.6.1987 20h49m19.4.1987
20.3.1988 9h39m2.4.1988 9h22m1.5.1988 23h41m31.5.1988 10h54m3.4.1988
20.3.1989 15h29m22.3.1989 9h58m21.4.1989 3h14m20.5.1989 18h17m26.3.1989
20.3.1990 21h20m10.4.1990 3h19m9.5.1990 19h31m8.6.1990 11h02m15.4.1990
21.3.1991 3h02m30.3.1991 7h18m28.4.1991 20h59m28.5.1991 11h37m31.3.1991
20.3.1992 8h49m18.3.1992 18h18m17.4.1992 4h43m16.5.1992 16h03m19.4.1992
20.3.1993 14h41m6.4.1993 18h44m6.5.1993 3h34m4.6.1993 13h03m11.4.1993
20.3.1994 20h29m27.3.1994 11h10m25.4.1994 19h45m25.5.1994 3h40m3.4.1994
21.3.1995 2h15m17.3.1995 1h26m15.4.1995 12h09m14.5.1995 20h49m16.4.1995
20.3.1996 8h04m4.4.1996 0h07m3.5.1996 11h49m1.6.1996 20h47m7.4.1996
20.3.1997 13h55m24.3.1997 4h46m22.4.1997 20h34m22.5.1997 9h14m30.3.1997
20.3.1998 19h55m11.4.1998 22h24m11.5.1998 14h30m10.6.1998 4h19m12.4.1998
21.3.1999 1h46m31.3.1999 22h49m30.4.1999 14h55m30.5.1999 6h40m4.4.1999
20.3.2000 7h36m20.3.2000 4h45m18.4.2000 17h42m18.5.2000 7h35m23.4.2000
20.3.2001 13h31m8.4.2001 3h22m7.5.2001 13h53m6.6.2001 1h40m15.4.2001
20.3.2002 19h17m28.3.2002 18h25m27.4.2002 3h00m26.5.2002 11h52m31.3.2002
21.3.2003 1h00m18.3.2003 10h35m16.4.2003 19h36m16.5.2003 3h37m20.4.2003
20.3.2004 6h49m5.4.2004 11h03m4.5.2004 20h34m3.6.2004 4h20m11.4.2004
20.3.2005 12h34m25.3.2005 20h59m24.4.2005 10h07m23.5.2005 20h19m27.3.2005
20.3.2006 18h26m13.4.2006 16h41m13.5.2006 6h52m11.6.2006 18h04m16.4.2006
21.3.2007 0h08m2.4.2007 17h16m2.5.2007 10h10m1.6.2007 1h04m8.4.2007
20.3.2008 5h49m21.3.2008 18h41m20.4.2008 10h26m20.5.2008 2h12m23.3.2008
20.3.2009 11h44m9.4.2009 14h56m9.5.2009 4h02m7.6.2009 18h12m12.4.2009
20.3.2010 17h33m30.3.2010 2h26m28.4.2010 12h19m27.5.2010 23h08m4.4.2010
20.3.2011 23h21m19.3.2011 18h11m18.4.2011 2h45m17.5.2011 11h09m24.4.2011
20.3.2012 5h15m6.4.2012 19h19m6.5.2012 3h36m4.6.2012 11h12m8.4.2012
20.3.2013 11h03m27.3.2013 9h28m25.4.2013 19h58m25.5.2013 4h26m31.3.2013
20.3.2014 16h58m16.3.2014 17h09m15.4.2014 7h43m14.5.2014 19h17m20.4.2014
20.3.2015 22h46m4.4.2015 12h06m4.5.2015 3h43m2.6.2015 16h20m5.4.2015
20.3.2016 4h31m23.3.2016 12h01m22.4.2016 5h24m21.5.2016 21h15m27.3.2016
20.3.2017 10h29m11.4.2017 6h09m10.5.2017 21h43m9.6.2017 13h10m16.4.2017
20.3.2018 16h16m31.3.2018 12h37m30.4.2018 0h59m29.5.2018 14h20m1.4.2018
20.3.2019 21h59m21.3.2019 1h44m19.4.2019 11h13m18.5.2019 21h12m24.3.201921.4.2019
20.3.2020 3h50m8.4.2020 2h36m7.5.2020 10h46m5.6.2020 19h13m12.4.2020
20.3.2021 9h38m28.3.2021 18h49m27.4.2021 3h32m26.5.2021 11h15m4.4.2021
20.3.2022 15h34m18.3.2022 7h18m16.4.2022 18h56m16.5.2022 4h15m17.4.2022
20.3.2023 21h25m6.4.2023 4h35m5.5.2023 17h35m4.6.2023 3h42m9.4.2023
20.3.2024 3h07m25.3.2024 7h01m23.4.2024 23h50m23.5.2024 13h54m31.3.2024
20.3.2025 9h02m13.4.2025 0h23m12.5.2025 16h57m11.6.2025 7h44m20.4.2025
20.3.2026 14h47m2.4.2026 2h13m1.5.2026 17h24m31.5.2026 8h46m5.4.2026
20.3.2027 20h25m22.3.2027 10h44m20.4.2027 22h28m20.5.2027 11h00m28.3.2027
20.3.2028 2h18m9.4.2028 10h27m8.5.2028 19h50m7.6.2028 6h09m16.4.2028
20.3.2029 8h03m30.3.2029 2h27m28.4.2029 10h37m27.5.2029 18h38m1.4.2029
20.3.2030 13h53m19.3.2030 17h57m18.4.2030 3h21m17.5.2030 11h20m21.4.2030
20.3.2031 19h42m7.4.2031 17h22m7.5.2031 3h41m5.6.2031 11h59m13.4.2031
20.3.2032 1h23m27.3.2032 0h47m25.4.2032 15h10m25.5.2032 2h38m28.3.2032
20.3.2033 7h23m16.3.2033 1h38m14.4.2033 19h18m14.5.2033 10h43m17.4.2033
20.3.2034 13h18m3.4.2034 19h20m3.5.2034 12h16m2.6.2034 3h55m9.4.2034
20.3.2035 19h03m23.3.2035 22h43m22.4.2035 13h21m22.5.2035 4h26m25.3.2035
20.3.2036 1h04m10.4.2036 20h23m10.5.2036 8h10m8.6.2036 21h03m13.4.2036
20.3.2037 6h51m31.3.2037 9h54m29.4.2037 18h55m29.5.2037 4h25m5.4.2037
20.3.2038 12h41m21.3.2038 2h10m19.4.2038 10h37m18.5.2038 18h24m28.3.203825.4.2038
20.3.2039 18h33m9.4.2039 2h53m8.5.2039 11h21m6.6.2039 18h48m10.4.2039
20.3.2040 0h12m28.3.2040 15h12m27.4.2040 2h39m26.5.2040 11h48m1.4.2040
20.3.2041 6h08m17.3.2041 20h20m16.4.2041 12h01m16.5.2041 0h53m21.4.2041
20.3.2042 11h54m5.4.2042 14h17m5.5.2042 6h49m3.6.2042 20h49m6.4.2042
20.3.2043 17h29m25.3.2043 14h27m24.4.2043 7h24m23.5.2043 23h38m29.3.2043
19.3.2044 23h21m12.4.2044 9h40m12.5.2044 0h17m10.6.2044 15h17m17.4.2044
20.3.2045 5h08m1.4.2045 18h44m1.5.2045 5h53m30.5.2045 17h53m2.4.20459.4.2045
20.3.2046 10h59m22.3.2046 9h28m20.4.2046 18h22m20.5.2046 3h16m25.3.2046
20.3.2047 16h53m10.4.2047 10h36m9.5.2047 18h25m8.6.2047 2h06m14.4.2047
19.3.2048 22h35m30.3.2048 2h05m28.4.2048 11h14m27.5.2048 18h58m5.4.2048
20.3.2049 4h29m19.3.2049 12h24m18.4.2049 1h05m17.5.2049 11h15m25.4.204918.4.2049
20.3.2050 10h20m7.4.2050 8h13m6.5.2050 22h27m5.6.2050 9h52m10.4.2050

Montag, 2. Dezember 2019

Ideen haben Konsequenzen

Erkennen zielt auf die Wirklichkeit
Der Geist der Technik
Gegen-Inspiration bei Nietzsche
Konsequenter Darwinismus
Auswirkungen auf das Seelenleben
Was auf dem Spiel steht

Erkennen zielt auf die Wirklichkeit

Ideas have Consequences, lautete der Titel eines 1948 erschienenen Buches von Richard M. Weaver, in der er die geistesgeschichtlichen Wurzeln unserer modernen Begriffsstutzigkeit herausarbeitet. Ich will darauf hier nicht inhaltlich eingehen, sondern nur festhalten, daß schon der Titel Programm ist: Es ist nicht belanglos, wie wir über die Welt denken, keine ins Belieben gestellte Geschmackssache. Die Welt ist vorgefunden, nicht eigenmächtig konstruierbar, wie es narzißtischer Übermut glaubt. Die Vorstellung von der vom Menschen selbst entworfenen Welt karikierte Goethe im "Faust", indem er den Baccalaureus in jugendlicher Selbstüberschätzung sprechen ließ:
Dies ist der Jugend edelster Beruf:
Die Welt, sie war nicht, eh ich sie erschuf!
Die Sonne führt ich aus dem Meer herauf;
mit mir begann der Mond des Wechsels Lauf.
Da schmückte sich der Tag auf meinen Wegen,
die Erde grünte, blühte mir entgegen.
Auf meinen Wink, in jener ersten Nacht,
entfaltete sich aller Sterne Pracht.
Erkenntnis ist Wahrnehmung objektiver Realität, nicht Konstruktion. Wir haben unser Erkenntnisvermögen, unseren Verstand, um uns ein möglichst gutes Bild von der Welt zu machen, und die Wirklichkeit korrigiert ungerührt falsche Vorstellungen, die wir von ihr haben, indem sie die Zwecke vereitelt, die wir, auf falschen Vorstellungen gründend, unserem Handeln geben wollen. Wie wir die Welt wahrnehmen, hat unmittelbare Konsequenzen für unser Leben, bis hin zur Gefährdung unserer ganzen Existenz. Das deckt sich mit der unmittelbaren Alltagserfahrung: wenn ich der festen Überzeugung bin, bei einem Sprung vom Hausdach würde ich wie ein Blatt sachte gleitend hinabsegeln, kann mich diese Überzeugung das Leben kosten.

Was für einzelne gilt, gilt auch für den Zeitgeist, also das in einer Gesellschaft in einer Epoche vorherrschende Bündel von Anschauungen. Es können Anschauungen vorherrschen, die die ganze Gesellschaft kollektiv dem Untergang zuführen – und es gibt Anschauungen, die die Gesellschaft zum Blühen bringen, die jeden einzelnen ein sinn- und freudvolles, erfülltes Leben in ihr ermöglichen (in den Grenzen natürlich, in denen das in dieser Welt überhaupt möglich ist).

Der Geist der Technik

Etwa um die Mitte des 19. Jahrhunderts gewannen Vorstellungen in der Gesellschaft an Gewicht, die in dieser Wucht und Breite zuvor nie vorhanden waren. Dazu gehörte die Idee einer vollständigen Berechenbarkeit der Welt, die man als ein sich entfaltendes Spiel von Atomen ansah. Laplace hatte schon 1814 die Ansicht formuliert, daß eine Intelligenz, die die Orte und Impulse aller Teilchen der Welt zu einem bestimmten Zeitpunkt kennen würde, in der Lage wäre, die sich entwickelnde Welt in all ihren Einzelheiten zu berechnen, jeden Willensentschluß und Gedanken jedes einzelnen Menschen, der je lebte oder leben wird, jedes Ereignis der Zukunft vorhersagen und auch die gesamte Vergangenheit des Universums rechnerisch rekonstruieren könnte (der berühmte Laplacesche Dämon).

Diese deterministische Weltsicht war nicht nur die einzelne Bemerkung eines Gelehrten, sondern fand in der ganzen Gesellschaft stärkste Resonanz. Hand in Hand mit dem Determinismus gingen der Naturalismus und Szientismus, aber auch die naiven Ansichten von Denkschulen wie dem Positivismus, indem man alle Menschen in diesem Sinne "aufklärte", würde man einem glanzvollen, friedlichen terminalen Zustand der Geschichte entgegengehen, in der sich alle Menschen freundlich die Hände reichten und sich gemeinsam das Räderwerk der großen Weltmaschine nutzbar machen würden. Auch die Erfindungen und Entdeckungen jener Zeit brachten einen ungeheuren Schub: der menschliche Geist grub sich gewissermaßen immer tiefer in das rein Irdische hinein.

Von dieser Zeit sprach Pfarrer Hans Milch (1924-1987) in seiner bekannten Predigt vom 7.10.1979 über den drohenden Untergang Europas.

Was sich da [in der Mitte des 19. Jahrhunderts] ereignet hat, kann gar nicht hoch genug bewertet werden in seiner dämonischen, zerstörerischen Bedeutung, aber auch in seiner Chance... In der Mitte des vorigen Jahrhunderts [des 19.] brach die moderne Technik in die Erdmenschheit ein, zuvorderst in Europa. Die moderne Technik ist ohne jede Parallele in der bekannten Menschheitsgeschichte, nicht etwa das Ergebnis einer jahrtausendelangen Entwicklung. Jahrtausendelang, über alle bekannten Zeiten der Geschichte hinweg, hat sich gar kein technischer Fortschritt ereignet — in einzelnen Kulturkreisen relative technische Errungenschaften, aber im Großen und Ganzen kein mit dem heutigen Fortschritt der Technik auch nur entfernt vergleichbarer Vorgang. Das ist von gar nicht abzusehender Bedeutung.

Was heißt überhaupt technischer Fortschritt? Es heißt, die Instrumente, welcher sich der Mensch bedienen kann, wachsen, vervielfältigen sich – und wir wissen, daß diese Vervielfältigung der Mittel in geometrischer Reihe, in geometrischer Beschleunigung sich vollzogen hat: rasant, atemberaubend, schauererregend, geradezu gespenstisch. Die Mittel und die Eindrücke die auf den Menschen einstürmen. Je mehr Mittel aber den Menschen zur Verfügung stehen, umso mehr muß der Mensch wissen, wer er ist - denn diese Mittel sollen ja ihm dienen, seinem Wesen, nicht seinem Wunsch. Es ist eine Folge des Sündenfalls, daß bei uns Wunsch und Wohl oft kollidieren und im Widerspruch zueinander stehen.

Wir gebrauchen die technischen Mittel zur Befriedigung unserer Wünsche - auf Kosten unseres Wohls. Was ist Wohl? Das, was dem Wesen gemäß ist. Je mehr ich also bedrängt werde von Angeboten, um so wacher muß ich wissen, wer ich bin, was mein Wesen ist. Und in der Mitte des vorigen Jahrhunderts [des 19.] hat der Mensch in Europa weniger gewußt als zuvor, vor allem wenn man das hohe Mittelalter zum Vergleich nimmt - weniger als zuvor, viel weniger, wer er wesenhaft ist. Er war also unvorbereitet diesem Ansturm gegenüber. Es fehlten in diesen Zeiten die Eliten – diejenigen, die das geistige Gebaren der Menschheit prägen. Führungslos wankte die europäische Menschheit dahin. Und in diese flatternde Ungewißheit brach gerade das ein, von dem es heißt: ehe du einen Schritt voraus tust in der Entfaltung der äußeren Welt, mußt du zuvor zwei Schritte tun in der Entfaltung der inneren Welt, in der Erweckung des geistigen Bewußtseins.

Geist darf man nicht verwechseln mit Verstand. Geistiges Bewußtsein heißt Wesensbewußtsein. Darum war es sehr, sehr schlecht bestellt, und das ist selbstverständlich immer weiter abgesunken – im selben Maße abgesunken, obwohl es hätte wachsen müssen, wie die moderne Technik anschwoll. Der Menschengeist ist dazu, da die sich ihm darbietende Vielheit im Zeichen der Einheit zu bewältigen und zu bannen. Diese Bannkraft des Geistes ist schwächer geworden, die Vielheit dessen, was auf uns einströmt und uns bedrängt, größer – daher zappelt der Mensch in seiner Seele, ist krank – die Couchs der Psychiater, die Sprechzimmer der Psychotherapeuten füllen sich:

Der kranke Mensch Europas! [hier spielt Hans Milch auf die Phrase "der kranke Mann am Bosporus" an, mit der man im 19. Jahrhundert den Verfall des Osmanischen Reichs bezeichnete].

Aus dieser Krankheit folgt das völlig gestörte bis zerstörte Verhältnis zu dem was wir Moral nennen. Moral ist die Lehre vom sittlich Guten. Das sittlich Gute ist das, was dem Wesen, der Würde der menschlichen Person entspricht. Da der Mensch nichts mehr von dem weiß, was eigentlich die Würde des Menschen erst ausmacht, weiß er auch nicht mehr, was gut ist – und darum verfällt das moralische Bewußtsein. Das ist verheerend und eine Katastrophe heraufbeschwörend. Die Zusammenhänge gehen der Sicht des Menschen verloren – lauter Teile hat er in der Hand, um mit Goethe zu sprechen, aber es fehlt ihm das geistige Band. Er weiß nicht mehr wie die Dinge zueinander geordnet sind, daß sie aufeinander hinweisen, über sich hinausweisen! Daher kann er die Dinge nicht mehr deuten und nicht mehr entziffern.

Man könnte hier einwenden, daß ja auch die Erfindungen und technischen Neuerungen, die Industrialisierung, das gigantische Wachstum der Welt der Waren und des Handels, daß dies alles seine Vorgeschichte habe. So wurde etwa schon im 15. Jahrhundert der Buchdruck eingeführt. Das ist zweifellos richtig - aber das war eine Innovation, die zunächst nur eine hauchdünne Schicht der Gelehrten betraf. Der Einbruch, der sich im 19. Jahrhundert ereignete, erfaßte die gesamte Lebenswelt der Menschen, pflügte das gesellschaftliche Leben in seiner ganzen Breite um.

Wer nur am Materiellen klebt, wie es etwa die Marxisten tun, überschätzt diese Vorgeschichte und verkennt den Einbruch von etwas qualitativ völlig Neuem, vorher nie Dagewesenen. Man muß sehen, daß zu jener Zeit ein geistiger Impuls in die Menschheit eintrat, der wie eine höhere Kraftwirkung diesen materiellen Umgestaltungen vorausging (wie ja auch Erfindungen und Technik nur daraus verstanden werden können, daß vom Verstand, von der Ideenwelt her sich etwas in die Materie hineinsenkt). Der Marxismus ist selbst ein Kind dieses geistigen Einbruchs. Er hängt einem historischen Determinismus an (der gesellschaftliche Fortschritt, die Entfaltung der Gesellschaft, könne mit der marxistischen Geschichts"wissenschaft" erkannt und vorhergesagt werden) und ist schon nach eigenem Eingeständnis materialistisch (in der Geschichtsbetrachtung als historischer, und philosophisch als dialektischer Materialismus).

Das Kommunistische Manifest, in dem Karl Marx und Friedrich Engels Grundlagen und Programm ihrer Bewegung formulierten, erschien übrigens 1848, also ziemlich genau zu dem Zeitpunkt, dem Hans Milch eine zerstörerische, dämonische Bedeutung zuweist. Ebenfalls in diese Zeit fällt auf der anderen Seite übrigens die Heraufkunft des sogenannten Spiritismus (wie etwa des Tischrückens, das sich ab 1848 wie eine Epidemie in Europa verbreitete). Der Spiritismus will noch die Welt der Toten, des Jenseits, ins Irdische, Räumlich-Zeitliche hineinziehen und bannen: er ist von seiner Wesensart her selbst materialistisch. Das ist bis in die Terminologie hinein spürbar, wenn die Spiritisten etwa von der Seele als dem "feinstofflichen Leib" sprachen. Der ironische Anfangssatz des Kommunistischen Manifests "Ein Gespenst geht um in Europa" ist viel tiefsinniger als es die Autoren beabsichtigten: obwohl eigentlich spöttisch gemeint, charakterisiert er in einem umfassenden Sinne genau den Zeitgeist, der seitdem unser Leben und Denken verhext.

Die Gefahr, die Hans Milch in diesem Vorgang als Pfarrer sieht – man könnte ihn auch noch umfassender anschauen – ist die Zerstörung der Moral: Moralbegriffe müssen im Wesensverständnis des Menschen gründen. Um aber zu wissen, was gut für mich ist, muß ich über mich selbst, über mein Wesen etwas wissen – und genau davon - von der Frage nach dem Wesen - führt die Technik weg, da sie die Erfüllung von Wünschen in den Vordergrund stellt. Die Frage nach dem Wesen ist der unter modernen Philosophen geächtete Essentialismus: man soll sie gar nicht mehr stellen, weil es angeblich müßig sei und keine Antworten zu erwarten seien. Nicht auf das Wesen, auf die Erscheinungen sollte man sich konzentrieren, das Miteinander, die Wechselwirkungen der Dinge, und was die Wünsche angeht, so gebe es ja einen gemeinsamen Nenner, über den sich alle Menschen einigen könnten: die materiellen Bedürfnisse, das tägliche Brot. Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr!, wie es im Brechtschen Lied von der Einheitsfront heißt. Das gesamte Programm des Materialismus ist der Aufbau der Welt von unten, vom Materiellen her, und ganz in das Materielle eingeschlossen, die Verwandlung der Steine in Brot.

Gegen-Inspiration bei Nietzsche

Man kann bei der Untersuchung dieses geistigen Impulses das Eingreifen von übersinnlichen Mächten in das Erdengeschehen geradezu mit Händen greifen. Einzelne Menschen müssen von diesem Geist in einer unheimlichen Weise besetzt gewesen sein.

Ein Beispiel ist Friedrich Nietzsche. Er spann den Laplaceschen Gedanken von der vollständig berechenbaren Weltmaschine bekanntlich weiter: daß nämlich nach ungeheuer langen Zeiträumen alle möglichen Kombinationen und relativen Positionen, die die Teilchen zueinander einnehmen können, aufgebraucht seien und ein Zustand sich wiederholen müsse, der schon einmal dagewesen ist. Ab dann aber entwickele sich alles wieder nach den gleichen Gesetzmäßigkeiten, alles wiederhole sich bis aufs kleinste i-Tüpfelchen, so daß genau derselbe jetzige Moment nicht nur dieser jetzige ist, sondern auch der Moment, der sich vor Abermilliarden von Jahren schon einmal ereignet hat und sich in einer fernen Zukunft wieder ereignen wird. Die Unendlichkeit eingeschlossen in das rein Irdische – der Ouroboros beißt sich in seinen eigenen Schwanz, es gibt keinen Ausweg mehr aus der totalen Immanenz. Nietzsche ist sich des Beklemmenden oder Gespenstischen dieser Eingebung sehr wohl bewußt, dennoch ist sie ihm wie eine Offenbarung [1]:

„Dieses Leben, wie du es jetzt lebst und gelebt hast, wirst du noch einmal und noch unzählige Male leben müssen; und es wird nichts Neues daran sein, sondern jeder Schmerz und jede Lust und jeder Gedanke und Seufzer und alles unsäglich Kleine und Grosse deines Lebens muss dir wiederkommen, und Alles in der selben Reihe und Folge – und ebenso diese Spinne und dieses Mondlicht zwischen den Bäumen, und ebenso dieser Augenblick und ich selber. Die ewige Sanduhr des Daseins wird immer wieder umgedreht – und du mit ihr, Stäubchen vom Staube!“ – Würdest du dich nicht niederwerfen und mit den Zähnen knirschen und den Dämon verfluchen, der so redete? Oder hast du einmal einen ungeheuren Augenblick erlebt, wo du ihm antworten würdest: „du bist ein Gott und nie hörte ich Göttlicheres!“ Wenn jener Gedanke über dich Gewalt bekäme, er würde dich, wie du bist, verwandeln und vielleicht zermalmen; die Frage bei Allem und Jedem „willst du diess noch einmal und noch unzählige Male?“ würde als das grösste Schwergewicht auf deinem Handeln liegen! Oder wie müsstest du dir selber und dem Leben gut werden, um nach Nichts mehr zu verlangen, als nach dieser letzten ewigen Bestätigung und Besiegelung?
Das trotzige Nein zu aller Transzendenz, zu allem höheren Sinn ist es also, weshalb er sich diesem Gedanken hingibt und ihn für wertvoll und tief hält, obwohl er das Gemüt, wie er selbst schreibt, aufwühlen kann. Der Mensch als "Stäubchen vom Staube". Wer denkt nicht an den verächtlichen Fluch des Mephistopheles in Goethes Faust: "Staub soll er fressen, und mit Lust! Wie meine Muhme, die berühmte Schlange."

Das alles klingt nach einer Inspiration durch jene "Widersachermächte im Luftkreis", von denen im 6. Kapitel des Epheserbriefs die Rede ist (Eph. 6,11-12):

Ziehet an den Harnisch Gottes, daß ihr bestehen könnt gegen die Listen des Teufels. Denn wir haben nicht mit Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit den Erzmächten und Gewalten, mit den Herren der Welt, die in dieser Finsternis herrschen: mit den bösen Geistern in den himmlischen Regionen.
Diese Wesen, die hier als reale unkörperliche Wesen beschrieben werden, versuchen Zugang zum menschlichen Geist zu bekommen – und bekommen ihn dort, wo der Boden durch Trotz, Eigensinn, Stolz, Narzißmus und Verhärtung vorbereitet wird. Das luziferische non serviam! wirkt wie eine Beschwörungsformel, wenn ein menschlicher Geist es ausspricht. So wirken die "Erzmächte und Gewalten" inspirierend auf Menschengeister, die sich ihnen bereitwillig öffnen. Wir können uns vorstellen, daß gerade von besonderen Menschen, die eine hohe Mission innerhalb der Welt zu erfüllen hatten, eine besondere Zerstörungskraft ausging, wenn sie sich dieser Geistesart hingaben.

Die folgenden Zeilen fanden die Herausgeber der Nietzsche-Werkausgabe in seinem Nachlaß – wie sie notierten, von Nietzsche "zweifellos in sehr großer Erregung" geschrieben:

Was ich fürchte, ist nicht die schreckliche Gestalt hinter meinem Stuhle, sondern ihre Stimme, auch nicht ihre Worte, sondern der schauderhaft unartikulierte und unmenschliche Ton jener Gestalt. Ja, wenn sie noch redete, wie Menschen reden...
Der Pfarrer und Kirchenhistoriker Walter Nigg, der sich mit Nietzsches Leben und Wesensart befaßt hat, hält dies nicht für eine Pathologie, sondern für einen Hinweis auf eine unheilvolle Inspiration, unter deren Schatten Nietzsches Denken stand [2]:
Die Gestalt, die am lichten Tag hinter seinem Stuhl auftaucht und ihm schauderhaft unartikulierte Laute ins Ohr flüstert, so daß Nietzsche in grenzenloser Furcht zusammenfährt, ist mit jenem Finger zu vergleichen, der auf die getünchte Wand die geheimnisvolle Schrift schrieb, die den König Belsazar zum Erbleichen brachte. Hier wie dort hat man es mit einem Zeichen aus der unsichtbaren Welt zu tun, das nach einer metaphysischen Deutung verlangt.
Hier hat man einen hautnahen Eindruck von den "dämonischen, zerstörerischen Kräften", von denen Hans Milch in seiner Predigt sprach.

Konsequenter Darwinismus

Die vom Naturforscher Charles Darwin (1809-1882) formulierte Evolutionstheorie möchte ich hier nicht inhaltlich betrachten – es wäre vermessen, das im Rahmen eines Blogposts zu tun. Erwähnt sei nur, daß sie von ihrer Wesensart genau dieses Motiv der "Hinaufentwicklung aus der Materie" anspricht, das für diesen neuen Geistesimpuls charakteristisch ist (und paßt auch zeitlich sehr genau: On the Origin of Species erschien 1859, in der Zeit nach seiner Forschungsreise auf der Beagle (1831-1836) hatte sich der Gedanke von der Entstehung der Arten durch Zuchtwahl und Auslese allmählich inkarniert).

Man hat politische Konsequenzen aus der Evolutionstheorie gezogen, die der Devise Nietzsches Was fällt, soll man noch stoßen! gleichen. Wenn der Mensch ein Produkt des "survival of the fittest" ist, wenn er durch einen Jahrmilliarden währenden, mitleidlosen Kampf der Lebensformen an die Spitze der Schöpfung gelangt ist, dann liegt es nahe, diesen Kampf nun auch unter Menschen weiter fortzusetzen, auf daß der Stärkere gewinne.

Daß dies keineswegs eine Verfälschung der Gedanken Darwins, sondern in diesen bereits angelegt ist, kann man in seinem Werk The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex nachlesen. Dort macht er sich auf den Seiten 162f. Gedanken über die Bedeutung seiner Theorie für die menschliche Gesellschaft (wobei er die Ideen dreier anderer zeitgenössischer Naturforscher verwendete, die er zuvor als Quelle benannt hatte):

With savages, the weak in body or mind are soon eliminated; and those that survive commonly exhibit a vigorous state of health.

We civilized men, on the other hand, do our utmost to check the process of elimination; we build asylums for the imbecile, the maimed and the sick; we institute poor-laws; and our medical men exert their utmost skill to save life of every one to the last moment. There is reason to believe that vaccination has preserved thousands, who from a weak constitution would formerly have succumbed to small-pox.

Thus the weak members of civilized societies propagate their kind. No one who has attended the breeding of domestic animals will doubt that must be highly injurious to the race of man.

It is surprising how soon a want of care or care wrongly directed leads to the degeneration of a domestic race but excepting in the case of man himself hardly any one is so ignorant as to allow his worst animals to breed.

The aid which we feel impelled to give to the helpless is mainly an incidental result of the instinct of sympathy, which was originally acquired as part of the social instincts but subsequently rendered, in the manner previously indicated more tender and more widely diffused.

Nor could we check our sympathy, if so urged by reason, without deterioration in the noblest part of our nature.

The surgeon may harden himself while performing an operation, for he knows that he is acting for good of his patient; but if we were intentionally to neglect the weak and helpless it could only be for a contingent benefit with a certain and great present evil.

Hence we must bear without complaining the bad effects of the weak surviving and propagating their kind; but there appears to be at least one check in steady action, namely the weaker and inferior members of society not marrying so freely as the sound; and this check might be indefinitely increased, though this is more to be hoped for than expected, by the weak in body or mind refraining from marriage.

Schauen wir uns diese Stelle genau an: zunächst bemerkt er, daß Schwache und Kranke in den archaischen Gesellschaften "eliminiert wurden" – also getötet, ausgesetzt oder anderweitig aus dem Stamm entfernt. Den archaischen stellt er sodann die zivilisierten Gesellschaften gegenüber, in denen genau dies nicht gemacht werde: entgegen den Gesetzen der Evolution würde man es sich erlauben, diejenigen, die krank, behindert, irgendwie lebensunfähig sind, in Heimen zu pflegen; man würde Arme speisen, und die Ärzte würden mit allen Mitteln ihrer Kunst das Leben bis zum alleräußerst möglichen Moment verlängern. Durch Impfungen hätte man Tausende gerettet, die ohne Impfung aufgrund ihrer schwächlichen Konstitution den Pocken zum Opfer gefallen wären. Nun stellt er fest: kein Züchter würde bestreiten, daß ein solches Verhalten – die Schwachen überleben zu lassen – für die betreffende Art sehr schädlich sei. Es wäre nach seiner Einschätzung gut für die Menschheit, die Prinzipien der Züchtung, die man für jedes andere Tier anwendet, auch beim Menschen anzuwenden. Mit anderen Worten sei es höchst schädlich für die Menschheit (highly injurious), daß man die Schwachen und Kranken, die eigentlich nicht überlebensfähig seien, mit großem Aufwand am Leben halte.

Um Gutes zu tun, muß man das Schädliche fernhalten, Dinge mit "schlechter Wirkung" vermeiden. Es wäre also nach obiger Diagnose nur konsequent, den Schwachen zugrundegehen zu lassen, denn sein Überleben ist ja für die Menschheit, wie Darwin hier urteilt, "highly injurious". Man hat diese Dinge an dieser Stelle später auch konsequent zu Ende gedacht und mit der Ausführung begonnen. Im vermeintlichen Dienste einer "Veredelung des Erbguts" hat man zum Beispiel Behinderte sterilisiert oder sie vor oder gar nach der Geburt ermordet.

Darwin fand es überraschend, daß man diesen Grundsatz (die Schwachen auszusondern und zu töten) bei jeder anderen Art anwende, aber ausgerechnet bei der eigenen Art, beim Menschen selbst, vernachlässige. Er führt dies auf Sympathiekräfte zurück, die er als irgendwie erweiterte oder aufgeweichte Version des sozialen Instinkts bezeichnet (den er zuvor als für das Überleben der Menschen evolutionär positiv beschrieben hatte). Wir könnten auch diese Humanität nicht zurücknehmen, selbst wenn es die Vernunft uns sagen würde, "ohne daß die edelsten Teile unserer Natur verkümmern würden". Wir müßten daher die schlechten Folgen unserer Humanität ertragen (gleichsam zähneknirschend!). Einziger Trost sei, daß bei der Wahl des Ehepartners die Starken eine größere Wahlfreiheit hätten als die Schwachen, und daß die Schwachen sich öfter des Heiratens enthielten, worauf man allerdings eher hoffen könne als daß dies wirklich zu erwarten sei.

Die Humanität sei ein edler Zug des Menschen, den man aus irgendwelchen nicht genannten Gründen zu respektieren habe und um dessentwillen man die "schlechte Wirkung des Lebenbleibens und der Vermehrung der Schwachen" ertragen müsse.

Der Edelmut, um dessentwillen man dieses objektive Übel für die Menschheit hinnimmt, steht hier seltsam unbegründet im Raum. Man merkt, daß Darwin hier mit seinem Unternehmen, alles Verhalten aus der Selektion zu erklären, bei der menschlichen Humanität an seine Grenzen kommt. Daß die Ausbildung des sozialen Instinkts einer Gruppe einen Überlebensvorteil verschafft, ist ja noch einsehbar. Daß aber dieser soziale Instinkt so zu einer allgemeinen Humanität aufgeweicht ist ("more tender and more widely diffused" geworden ist) und man dies auch noch als einen der edelsten Züge im Menschen anzuerkennen habe, bleibt in Darwins eigenem Denken unverständlich. Bei seinem Versuch, das, was gut und was schädlich für die Menschheit sei, rein evolutionär zu begründen, ist überhaupt nicht einzusehen, wieso man dieser allgemeinen Humanität einen so hohen Platz einräumen sollte, zumal die Folgen des humanitären Handelns nach seiner eigenen Beobachtung ja dem entgegenlaufen, was gut für die Menschheit sei.

Auswirkungen auf das Seelenleben

Diese eigenartigen Mattheit oder Müdigkeit in Bezug auf die höheren Seelenkräfte des Menschen war Darwin sich auch in Bezug auf sein eigenes seelisches Leben bewußt. In den erst 1958 veröffentlichten autobiographischen Aufzeichnungen, die er als 67jähriger notierte, stellt er in nüchterner Selbstbeobachtung eine Verkümmerung seiner eigenen höheren Seelenanlagen fest [3, Hervorhebungen von mir]:
I have said that in one respect my mind has changed during the last twenty or thirty years. Up to the age of thirty, or beyond it, poetry of many kinds, such as the works of Milton, Gray, Byron, Wordsworth, Coleridge, and Shelley, gave me great pleasure, and even as a schoolboy I took intense delight in Shakespeare, especially in the historical plays. I have also said that formerly pictures gave me considerable, and music very great delight. But now for many years I cannot endure to read a line of poetry: I have tried lately to read Shakespeare, and found it so intolerably dull that it nauseated me. I have also almost lost my taste for pictures or music. Music generally sets me thinking too energetically on what I have been at work on, instead of giving me pleasure. I retain some taste for fine scenery, but it does not cause me the exquisite delight which it formerly did. On the other hand, novels which are works of the imagination, though not of a very high order, have been for years a wonderful relief and pleasure to me, and I often bless all novelists. A surprising number have been read aloud to me, and I like all if moderately good, and if they do not end unhappily–against which a law ought to be passed. A novel, according to my taste, does not come into the first class unless it contains some person whom one can thoroughly love, and if a pretty woman all the better.

This curious and lamentable loss of the higher aesthetic tastes is all the odder, as books on history, biographies, and travels (independently of any scientific facts which they may contain), and essays on all sorts of subjects interest me as much as ever they did. My mind seems to have become a kind of machine for grinding general laws out of large collections of facts, but why this should have caused the atrophy of that part of the brain alone, on which the higher tastes depend, I cannot conceive. A man with a mind more highly organised or better constituted than mine, would not, I suppose, have thus suffered; and if I had to live my life again, I would have made a rule to read some poetry and listen to some music at least once every week; for perhaps the parts of my brain now atrophied would thus have been kept active through use. The loss of these tastes is a loss of happiness, and may possibly be injurious to the intellect, and more probably to the moral character, by enfeebling the emotional part of our nature.”

Sein Geist wirkte also wie eine Maschine, wie ein Mühlstein, der eine Menge Fakten zermahlt, um daraus allgemeinere Prinzipien herzuleiten. Er findet es selbst beklagenswert, daß die höheren ästhetischen Empfindungen, die ihn in der Jugend noch beseelt und belebt hätten, ihm nach und nach abhanden gekommen seien und diagnostiziert, daß ihm damit nicht nur ein großer Teil seines Lebensglücks genommen sei, sondern wohl auch der Intellekt Schaden genommen habe, und, noch wahrscheinlicher, der moralische Charakter. Er ist Opfer einer Einkapselung ins Irdische, einer Materialisierung des Denkens geworden – und bemerkt es auch selbst.

Was auf dem Spiel steht

Erinnern wir uns an Hans Milchs Definition des sittlich Guten – es sei das, was dem Wesen des Menschen gemäß ist. Was aber der Mensch in seiner Wesenstiefe eigentlich ist, was sein Geheimnis, seine Würde, seine Bestimmung ist – davon haben wir uns durch diesen Einschlag des Materialismus im 19. Jahrhundert weiter entfernt denn je. Es waren im Geistigen gewaltige Zentrifugalkräfte wirksam, wir haben uns in die äußere Welt hineingearbeitet, ja hineingefressen bis zur Selbstaufgabe. Diese Gebärde der Einkapselung, des Sich-Selbst-Genügens, der Beschränkung auf das Sinnliche, der Verneinung alles Geistigen, ist heute nahezu allgegenwärtig.

Die Stoßrichtung dieser Entwicklung ist letztlich, uns von Jesus Christus zu entfremden: die Erlösungstat des Gottmenschen soll aus unserem Bewußtsein verdrängt, getilgt, letztlich ungeschehen gemacht werden. Diese Tat bestand darin, daß Er das Urbild der Gottesebenbildlichkeit in uns wiederherstellte, uns den Ausweg schuf, indem er die rettende Entscheidung in uns ermöglichte. Durch den Einbruch Gottes in die Erdenmenschheit ist es überhaupt wieder möglich, in den Himmel zu blicken. Sonst wäre das Gesetz der Schwere das einzig wirksame geblieben, die dumpfe, blind alles zermahlende Gesetzmäßigkeit, die sich - besonders deutlich in Nietzsches Gedanken von der Ewigen Wiederkehr - wie ein Fluch auf das Leben legt. Raum und Zeit wären zum Gefängnis geworden, das den Geist für immer versklavt, es hätte keinen Ausweg gegeben, keinen Lichtstrahl, der in diese Finsternis hineinleuchtete.

Aber das Licht leuchtete in der Finsternis: Christus hat sich hineinverkörpert mitten in diese fluchbeladene Welt, er ist mit seinem Menschenleben hineingegangen in die Gottferne, in die äußerste Entfernung zu sich selbst und hat den bösen Fluch damit von innen her entkräftet.


[1] Friedrich Nietzsche, Die fröhliche Wissenschaft. La gaya scienza. Nietzsches Werke, Klassiker-Ausgabe, Kröner 1923, Band V, S. 265
[2] Walter Nigg, Friedrich Nietzsche, Zürich 1994, S.7
[3] The Autobiography of Charles Darwin 1809-1882, Edited by his grand-daughter Nora Barlow, London and Glasgow 1958, S. 138f.